Sehnsucht nach Owitambe
auf und versuchte sich an galanten Komplimenten. Imelda nahm seine Avancen amüsiert zur Kenntnis, während sie aus den Augenwinkeln heraus Rajiv Singh beobachtete. Der Inder war das genaue Gegenteil des quirligen Knorr. Er hatte etwas verhalten Vornehmes an sich. Seine würdevolle Haltung spiegelte sich nicht nur in dem aufrechten Gang, sondern auch in den fein geschnittenen Zügen seines Gesichts wieder. Seine gelbbraunen Augen funkelten vor verhaltenem Humor, während er sich mit gefalteten Händen verbeugte und sie begrüßte.
Imelda fühlte sich geschmeichelt und schalt sich selbst eine dumme Gans, dass dieser Mann sie so in Verwirrung stürzte. Bevor Rajiv das Haus betrat, zog er seine Stiefel aus und ließ sie vor dem Eingang zurück.
»Aber nicht doch!«, wehrte Imelda ab. »Lassen Sie die Schuhe ruhig an.«
»Bei uns in Indien betritt man niemals das Haus eines Freundes mit Schuhen«, erklärte Rajiv ernst. »Wir zeigen damit unsere Ehrerbietung.«
»Ach ja?« Imelda errötete und verschwand eilig in der Küche. Jella registrierte die Gefühle ihrer Schwiegermutter mit amüsiertem Erstaunen. Sie hatte Imelda noch niemals so aufgekratzt erlebt. Während des Essens beteiligte sie sich lebhaft an den Gesprächen. Alfred Knorr tat sich mal wieder als Alleinunterhalter hervor. Freimütig erzählte er, dass er bei den Schutztruppen in Ungnade gefallen war und man ihm gekündigt hatte.
»Eigentlich bin ich sehr froh, nicht mehr dienen zu müssen«, gestand Knorr. »Dieser ewige Drill ist nichts für einen Freigeist wie mich! Ich bin schließlich zu etwas Höherem berufen!«
Jella gelang es nicht, sich eine Bemerkung zu verkneifen. »Sie sollten es einmal als Märchenerzähler versuchen«, schlug sie vor. »Ich glaube, Sie wären unschlagbar!«
»Pah!« Knorr winkte abfällig. »Der Jahrmarkt ist etwas für gescheiterte Existenzen. Dort würden meine Talente absolut verkümmern! Ich …«
Bevor er neue Aufschneidereien loswerden konnte, griff Imelda geschickt in das Gespräch ein und wandte sich an Rajiv.
»Nun, Herr Knorr, Ihre Geschichte kennen wir ja nun …«, meinte sie mit einem leichten Nicken in Knorrs Richtung. »Aber vielleicht will Herr Singh uns ja auch noch seine Geschichte erzählen? Ich finde es äußerst ungewöhnlich, dass es einen Mann wie Sie aus dem schönen Indien in das doch sehr staubige Afrika verschlagen hat.«
Rajiv lächelte verbindlich.
»In der Tat«, begann er mit seiner sanften, wohlklingenden Stimme. »Ich gebe zu, dass ich nicht ganz freiwillig hier bin. Gewisse Umstände haben mich vor einiger Zeit gezwungen, mein Land zu verlassen. Eigentlich hatte ich die Absicht, nach England zu gehen, doch der Zufall wollte es, dass unser Schiff bei einem Zwischenaufenthalt in Walfishbay einen Motorschaden hatte und ich zu einem längeren Aufenthalt gezwungen war. Ich nahm es als Wink des Schicksals und beschloss, von Bord zu gehen, um mir das Land anzusehen. In Windhuk traf ich auf Alfred, der mich dazu überredete, in den Norden zu ziehen. Den Rest der Geschichte kennen Sie ja.«
»Und warum sprechen Sie so ein hervorragendes Deutsch?«, fragte Jella. »In Indien wird meines Wissens neben den einheimischen Dialekten doch Englisch gesprochen. Sie können sich die Sprache doch nicht in so kurzer Zeit angeeignet haben!«
Rajivs Deutsch war tatsächlich beinahe akzentfrei. Er antwortete nicht gleich. Jella meinte einen Schatten über sein Gesicht huschen zu sehen.
»Ich hatte die Gelegenheit, in meiner Heimat die deutsche Sprache zu lernen. Mein Bruder und ich wurden von einer deutschen Lehrerin unterrichtet.«
»Dann müssen Sie aus vornehmen Kreisen stammen«, stellte Jella geradeheraus fest. Rajiv schüttelte leicht den Kopf. Seine Stimme klang distanzierter.
»Ich bin nur ein einfacher Mann auf der Suche nach einem neuen Sinn in meinem Leben. Mein altes Leben gehört der Vergangenheit an. Ich bitte Sie, das zu respektieren.«
»Themawechsel«, meinte Imelda energisch. »Ich werde uns jetzt noch einen Nachtisch holen, und dann gehen wir runter in den Laden, um die Herren wieder neu auszustaffieren.«
Rajiv wollte etwas einwenden, aber Imelda ließ ihn gar nicht erst dazu kommen. »Keine Widerrede, sagte sie. »Sie brauchen
keine Angst zu haben, dass Sie zu tief in meine Schuld geraten könnten, denn ich kann es mir überhaupt nicht leisten, Ihnen die Waren zu schenken. Allerdings habe ich da eine Idee, wie Sie mir ihren Gegenwert rückvergüten können.«
Sie blinzelte ihrem
Weitere Kostenlose Bücher