Sehnsucht nach Owitambe
Schutztruppensoldat ganz allein fertig geworden! Ich habe gekämpft wie ein Löwe. Den einen habe ich durch einen gezielten Faustschlag unter die Nase einfach so weggepustet, während ich gleichzeitig durch mehrere Tritte Nummer zwei und drei ausgeschaltet habe.«
Jella musste sich die Hand vor das Gesicht halten, damit Knorr nicht ihr amüsiertes Grinsen sah. Auch Fritz hatte Mühe, ein ernstes Gesicht zu bewahren. Einmal zwinkerte er ihr heimlich zu. Doch selbst wenn Knorr dies aufgefallen wäre, hätten nichts und niemand den kleinen Mann davon abgehalten, seine Geschichte weiterzuerzählen. Münchhausen war ein Waisenknabe gegen die Übertreibungen, die Alfred Knorr bot. Schließlich, als Knorr begann, seine Geschichte durch angedeutete Kampfhandlungen zu unterstreichen, hielt es Jella beim besten Willen nicht mehr aus. Sie presste beide Hände vor den Mund, um ihren Lachanfall zu unterdrücken. Als sie jedoch bemerkte, dass sowohl der Inder als auch Fritz breit grinsten, konnte sie nicht mehr an sich halten und prustete laut los. Knorr unterbrach entrüstet seinen Vortrag und sah sie beleidigt an.
»Langweile ich Sie etwa?«, meinte er verstimmt.
»Bitte verstehen Sie mich nicht falsch.« Jella nahm sich zusammen. »Aber allein die Vorstellung, dass Sie zehn kräftige Herero allein außer Gefecht gesetzt haben, reißt mich in Begeisterung, die ich nicht anders auszudrücken vermag. Warum sind Sie eigentlich mit den restlichen fünf nicht fertig geworden?«
Knorr hob beleidigt seinen Kopf etwas an.
»Sie haben mich feige von hinten niedergeschlagen. Daran sieht man, dass es Wilde sind!«
Fritz wandte sich besorgt an den Inder, der wesentlich besonnener wirkte.
»Sind die Männer noch in der Nähe? Vielleicht lungern sie ja noch irgendwo herum?«
Rajiv verneinte mit einem feinen Lächeln.
»Sie müssen sich keine Sorgen machen.« Seine Stimme klang mild, aber bestimmt, während er ehrerbietig Alfred Knorr zunickte. »Es liegt keineswegs in meiner Absicht, die Geschichte des Sahib Knorr abzuschwächen. Aber bei aller Bewunderung für die Erzählkunst des Sahib – wir haben den Dieb ja nicht einmal zu Gesicht bekommen.«
»Den Dieb?«, fragte Jella. »Ich dachte, es wären fünfzehn gewesen!«
Knorr sah verlegen zur Seite.
»Nun ja, ich konnte sie im Eifer des Gefechts nicht alle zählen«, verteidigte er sich.
»Dann haben Sie sich also nur mit einem angelegt?«
Jella hob fragend eine Augenbraue.
»Angelegt wäre etwas zu viel gesagt«, gab er kleinlaut zu. »Um die Wahrheit zu sagen, hat sich der Lump nachts angeschlichen und uns einfach alles geraubt, was wir besaßen.«
»Hat denn keiner von euch Wache gehalten?«, fragte Fritz erstaunt.
»Natürlich. Wir haben uns abgewechselt, allerdings …«
»Allerdings?«, Jella ließ nicht locker.
»Allerdings bin ich während meiner Wache eingeschlafen. Es war bestimmt nur ganz kurz gewesen, und der Dieb hat die Situation schamlos ausgenützt!«
Aus dem strahlenden Helden war mit einem Mal ein kleinlautes Häuflein Elend geworden. Rajiv sprang seinem Begleiter bei.
»Ich bin sicher, dass Sahib Knorr, wären wir von einer ganzen Horde baumlanger Kerls überfallen worden, uns gerettet
hätte«, meinte er, ohne eine Miene zu verziehen. »Sahib Knorr war schließlich Soldat.«
Knorr lächelte seinem Freund dankbar zu. Wie ein Stehaufmännchen erholte er sich von seiner Niederlage. Rajiv erzählte die Geschichte zu Ende und berichtete, dass sie ohne Karte bald die Orientierung verloren hatten und nun seit über zwei Tagen durch den Busch geirrt waren. Die Dornen und Ranken des Buschwerks hatten ihre Kleider zerrissen, und einmal war Knorr einen Abhang hinabgestürzt und hatte sich dabei seine Brille zerbrochen.
»Ich muss dringend Ersatz beschaffen«, meinte Knorr trübe. »Ohne meine Brille bin ich blind wie ein Maulwurf.«
»Das ist kein Problem«, meinte Fritz. »Ich schlage vor, dass Sie beide auf unseren Wagen steigen und mit uns nach Okakarara fahren. Dort gibt es einen Kolonialwarenladen, der Sie mit dem Nötigsten versorgen wird.«
»Sie vergessen, dass wir jetzt arm wie Kirchenmäuse sind«, gab Knorr zu bedenken. Fritz winkte ab.
»Dafür wird sich auch noch eine Lösung finden lassen.«
Imelda nahm die kleine Truppe mit offenen Armen auf. Sie freute sich über die Überraschungsgäste, die immerhin für ein wenig Abwechslung sorgten. Knorr umschwärmte Fritz’ Mutter wie ein galanter Kavalier. Er drückte ihr einen dicken Handkuss
Weitere Kostenlose Bücher