Sehnsucht nach Owitambe
Herero wurde von dem Schlag so überrascht, dass er das Gleichgewicht verlor und zu Boden fiel. Seine Nase blutete, als er sich wieder aufrappelte. Als Nachtmahr nochmals zuschlug, hob er schützend seine Arme vor das Gesicht.
»Rüdiger, lass das«, schrie Isabella empört. »Der arme Mann kann doch nichts dafür!«
Ihr Mann ließ nur von Josua ab, weil sie ihm in den Arm fiel. Er schnaubte vor Wut und begab sich zu dem Schrank mit den Gewehren.
»Diesen verkafferten Mistkerlen werde ich es zeigen«, brüllte
er außer sich. »Bevor meine Tochter einen Neger heiratet, bringe ich sie alle um!«
Er entnahm ein Jagdgewehr und stürmte zur Tür.
»Rüdiger, versündige dich nicht«, flehte seine Frau verzweifelt. Sie versuchte ihn zurückzuhalten. Doch Nachtmahr riss sich ungehalten los und stürmte nach draußen. Sie hörte, wie er das Automobil anließ und mit hoher Geschwindigkeit davonfuhr.
Isabella zitterte am ganzen Körper. Doch dann fasste sie sich und versuchte einen kühlen Kopf zu bekommen. Sie kannte ihren Mann nur zu gut. Es war durchaus vorstellbar, dass er in seiner Wut einen schrecklichen Fehler beging. Sie musste etwas unternehmen. Dummerweise gab es auf Owitambe noch kein Telefon, um die Menschen dort zu warnen. Als Erstes kümmerte sie sich um den immer noch am Boden liegenden Josua. Der Mann war noch nie geschlagen worden und deshalb völlig fassungslos. Isabella kniete sich neben ihn und betupfte seine blutende Nase mit einem Taschentuch.
»Kannst du mich nach Owitambe bringen?«, fragte sie ihn. Josua nickte schwerfällig. »Wir müssen uns beeilen, verstehst du?«
Isabella konnte nicht reiten, deshalb ließ sie eine leichte Kutsche anspannen. Ihr Mann war mit dem Automobil natürlich viel schneller. Er musste jedoch die breiten Wege nehmen, während sie die Abkürzung über den Hügel nehmen konnten. Josua war ein geschickter Kutscher; allerdings war der Anstieg auf den Hügel ziemlich steil, sodass das Pferd im Schritt hochgehen musste. Isabella fühlte sich wie befreit. Sie staunte über ihren eigenen Mut. Soweit sie sich erinnern konnte, hatte sie noch nie in ihrem Leben so couragiert gehandelt. Vor der Abfahrt hatte sie sich sogar mit einem Gewehr eingedeckt, obwohl sie kaum wusste, wie man es handhabte. Dieses eine Mal im Leben würde sie sich nicht ihrem Mann unterordnen. Er hatte ihr bis auf ihre Tochter alles genommen, was in ihrem
Leben eine Rolle gespielt hatte. Stets hatte sie sich alles klaglos gefallen lassen. Doch jetzt war Schluss damit. Sie hatte sich niemals davon überzeugen lassen, dass ihr Sohn Achim durch Fritz van Houten ums Leben gekommen war. Es war ein heimtückischer Winkelzug gewesen, um der Familie Sonthofen zu schaden. Isabella ging sogar so weit zu glauben, dass ihr Mann eine Mitschuld am Tod seines Sohnes hatte. Keiner wusste so gut wie sie, dass er die Wahrheit immer so drehte, dass sie ihm zum Vorteil gereichte. All die Jahre war sie ihm eine folgsame Frau gewesen. Sie war so erzogen worden, auch wenn sie Rüdiger schon lange nicht mehr liebte.
Noch bevor sie in das Tal von Owitambe einfuhren, hörte sie aufgeregte Stimmen. Schon von Weitem konnte sie sehen, wie ihr Mann das Gewehr aus dem Automobil zog.
»O Gott, lass ihn nicht schießen«, dachte sie verzweifelt. Josua ließ das Pferd jetzt im Galopp laufen. Niemand achtete auf sie, als sie ankamen und Isabella eilig aus der Kutsche stürzte. Auch sie hielt das Gewehr in den Händen. Nachtmahr war außer sich.
»Ihr verdammtes Kaffernpack«, brüllte er. »Euch werde ich’s zeigen. Wo ist dieses Luder, das meine Familie entehrt hat? Sie ist mein Eigentum und wird mit mir kommen!«
Um die Ernsthaftigkeit seiner Absicht zu unterstreichen, hob er das Gewehr und zielte auf Sonja, die gemeinsam mit Fritz, Jella und Raffael auf der Veranda stand. Raffael schob sich sofort vor sie, während Fritz beschwichtigend die Arme hob.
»Nun fassen Sie sich doch«, sagte er so ruhig, wie es ihm möglich war. Langsam ging er die Stufen der Veranda hinab und trat auf von Nachtmahr zu. »Geben Sie mir Ihr Gewehr und lassen Sie uns vernünftig reden!«
»Sie … Sie Mörder!«, zischte Nachtmahr und zielte mit dem Gewehr nun auf Fritz. »Ich werde es euch allen zeigen. Ihr habt mein Leben zerstört und mir alles genommen!«
Seine Augen funkelten gefährlich, während er das Gewehr entsicherte und seinen Finger an den Abzug führte.
Im nächsten Augenblick ertönte ein Schuss. Jella schrie entsetzt auf. Doch niemand
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