Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
Vom Netzwerk:
Wäschemagd in Stoffen und Stoffresten und spielte mit den bunten Knöpfen. Bald sprach sie die lettische Sprache ebenso gut wie die deutsche, kannte den Unterschied zwischen einer geraden und einer Zickzack-Naht.
    Am liebsten aber war es ihr, wenn sie mit Nina, der Wäschemagd, in der kleinen Nähstube sitzen konnte. Während Nina die schadhafte Wäsche ausbesserte, erzählte sie der Kleinen Geschichten aus der eigenen Kindheit, und Malu schmiegte sich dann eng an sie. Manchmal, wenn Nina ein wenig Zeit hatte, nähte sie gemeinsam mit Malu eine Puppe.
    Sie nahm Stroh, knetete es zu einer festen Kugel und zog einen Strumpf darüber. »Schau, das ist der Kopf«, erklärte Nina. »Und jetzt nähen wir Augen dran.« Sie ließ Malu zwei Knöpfe aus der bunten Knopfschachtel aussuchen und nähte sie an den Kopf.
    »Und jetzt der Mund!«, verlangte die Kleine. »Sie soll lachen!«
    Nina nahm roten Faden und nähte dem Puppenkopf einen Mund an, der wie bei einem Clown lachte. Danach durfte Malu Stoff aus der alten Kiste für ein Puppenkleid aussuchen. Anschließend lachte Nina, drückte die Kleine an sich und gab ihr einen Kuss auf das Haar. »Du hast ein Händchen für Stoffe, kleine Lady. Immer suchst du dir die teuersten aus.«
    Malu schüttelte den Kopf. »Ich nehme doch nur die, die sich am besten anfühlen«, erklärte sie. »Und die schön fallen.«
    Die Wäschemagd nickte und erwiderte: »Das wird dir im Blut liegen. Auch deine Großtante hatte ein Händchen für Stoffe und Zierrat.«
    War Nina zu beschäftigt, um mit Malu zu nähen oder in den Stoffkisten zu wühlen, dann stromerte Malu über das Land. Niemand, außer dem Verwalter und ihrem Vater, kannte das Gut besser als sie, und keiner war fremder darauf als sie.
    Wolfgang von Zehlendorf sah manchmal nach ihr, strich über das gelockte Haar und seufzte. Da bekam Malu jedes Mal Angst. Er seufzte, als hätte sie etwas Schlimmes getan, über das er sich nicht trösten könnte. Und die Mutter tat, als gäbe es sie nicht. Malu war zu klein, um zu verstehen, was vorgefallen war, aber sie hatte begriffen, dass sie von einem auf den anderen Tag anders geworden war, nicht mehr zugehörig, allein. Manchmal war da ein Druck auf ihrer Brust, schwer wie ein Stein, den sie nicht loswerden konnte. Dann weinte sie, ohne zu wissen, warum. Aber bald schon tröstete sie sich. Sie lief zu den Milchmädchen in den Stall und sah ihnen beim Melken zu, stippte den Finger in die Teigschüssel eines Küchenmädchens, das gerade Kuchen backte, oder spielte mit dem Staubwedel eines Stubenmädchens.
    Eines Tages starb der alte Pfarrer, und wenige Wochen später zog ein neuer in das Pfarrhaus ein und brachte seine Familie mit. Pastor Mohrmann war ein stiller, ernster Mann, der es sehr mit der Gerechtigkeit hielt. Seine Frau aber, eine Lettin, sprühte vor Lebensfreude und Lebenslust. Das helle Haar umspielte ihr Gesicht wie ein Heiligenschein, und ihr lautes Lachen drang bis zum Herrenhaus. Sie schlug gern jedem wohlwollend auf die Schulter und ging mit ihren beiden Kindern so natürlich um, als wäre sie zur Mutter geboren. Constanze war so alt wie Malu; ein eher schüchternes Kind, von dem man meinte, die Mutter habe all seine Lebendigkeit in sich vereint. Am Anfang beobachtete Malu ihre Altersgenossin aus einem Busch heraus, wenn diese im Pfarrgarten spielte. Constanze hatte meist eine Puppe bei sich, die wunderschönes langes Haar besaß, aber, wie Malu fand, ein schreckliches Kleid trug.
    Wie schön wäre die Puppe in einem roten Rock, dachte Malu, und nahm sich vor, gleich morgen in der großen Stoffkiste nach etwas Passendem zu suchen.
    Am nächsten Morgen konnte sie es kaum erwarten, dass Nina Zeit für sie hatte. »Wir müssen ein Puppenkleid nähen«, erklärte sie der Wäschemagd. »Ein rotes. Und lang muss es sein, damit die Puppe nicht an den Beinen friert.«
    Nina strich ihr über den Kopf. »Ach, Mädelchen. Die gnädige Frau hat verlangt, dass wir ihre Winterkleidung vom Boden holen und frisch machen. Ich habe wirklich keine Zeit dafür. Kann das nicht bis nächste Woche warten?«
    Malu kniff die Lippen zusammen und schüttelte ernsthaft den Kopf. »Nein. Kann es nicht. Es wird kälter. Die Puppe wird frieren. Ich brauche das Kleid jetzt.«
    Nina legte den Zeigefinger an ihr Kinn und überlegte. »Wie wäre es, wenn du einmal allein ausprobierst, ob du schon ein Kleid nähen kannst? Wir haben das Papiermuster vom Kleid deiner Puppe. Such dir einen roten Stoff, schneid ihn

Weitere Kostenlose Bücher