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Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition)

Titel: Sehnsucht nach Riga: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Winter
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wusste sie sogleich – sie fühlte es ganz deutlich –, dass Johann gekommen war, um ihre Einsamkeit zu beenden. Johann. Der Große, der Starke. Aber genau wie Ruppert beachtete der Junge das kleine Mädchen nicht weiter. Manchmal, wenn sie sich begegneten, fragte er, wie es ihr ginge, doch kaum wollte sie ihm ein neues Puppenkleid zeigen, schürzte er verächtlich die Lippen und ging weiter. Meist verschwand er im Wald. Malu hätte zu gern gewusst, was er dort anstellte, aber es war ihr verboten, allein in den Wald zu gehen.
    Einmal aber tat sie es doch. Sie schlüpfte durch den Zaun, lief barfuß über die Felder und hinein in den Wald, immer weiter und weiter. Schließlich kam sie an einer Lichtung vorbei, wo sie den schweren Duft der Felder und zugleich den leichten Geruch der Kiefern und des Sandbodens roch. Spinnweben hingen zwischen den Ästen, und als die Sonne dorthin schien, sah das Gewebe wie feinstes Geschmeide aus. Verzückt blieb Malu stehen und betastete vorsichtig das Gespinst. Einen Stoff müsste es geben, der so fein und zart ist wie Spinnweben, dachte sie. Wenn ich einmal groß bin, kann ich mir daraus ein wunderschönes Kleid nähen.
    Sie war so fasziniert, dass sie immer weiter in den Wald hineinging, immer den Spinnweben hinterher. Nach einer Weile blieb sie stehen und sah sich um. Der Wald hatte sich verändert, ohne dass es ihr aufgefallen war. Der Mischwald, der hinter den Feldern anfing, hatte sich in einen reinen Kiefernwald verwandelt. Dichtes Unterholz lag vor ihr, so dicht, dass kein Durchkommen war. Von fern hörte sie einen Eichelhäher rufen. Sie wandte sich um, doch nichts hier kam ihr bekannt vor. Sie rannte ein Stück zurück, aber auch hier tat sich plötzlich vor ihr dichtes Unterholz auf. Malu drehte sich nach links und nach rechts. Überall standen meterhohe junge Kiefern so dicht nebeneinander, dass am Boden zwischen den Bäumen völlige Dunkelheit herrschte. Es roch nach Pilzen und nach etwas, das Malu noch nie gerochen hatte. Irgendwie modrig, irgendwie dunkel und beängstigend. Und nun wurde ihr klar, dass sie sich verlaufen hatte, dass sie ganz allein wer weiß wo in diesem Wald war und nicht einmal wusste, in welche Richtung sie gehen sollte, um zurück zum Gut zu kommen.
    Tränen stiegen in ihr auf, aber sie wischte sie kräftig mit den Fäusten weg. Sie wollte nicht weinen. »Weinen hilft nicht«, sagte ihr der Vater immer, und auch Ilme, die Hausmutter, hatte ihr erklärt, dass Tränen zwar einen Schmerz lindern können, aber keine Probleme lösen.
    Also formte Malu mit den Händen einen Trichter vor ihrem Mund und rief, so laut sie konnte: »Hallo! Ist da wer? Ich habe mich verlaufen!«
    Doch niemand antwortete. Nur der Wind rauschte in den Bäumen, und die Stimmen des Waldes murmelten.
    Noch einmal und noch einmal rief Malu. Sie schrie und brüllte sich die Lunge aus dem Hals, doch niemand hörte sie. Zu Malus Angst kam jetzt die Erschöpfung. Sie musste stundenlang durch den Wald gelaufen sein. Die Dämmerung hatte eingesetzt, und Nebelfetzen hingen zwischen den Bäumen. Malu hockte sich hin, umklammerte mit ihren Armen die Knie und weinte nun wirklich. Die Tränen flossen ihr über das Gesicht, und sie konnte kaum atmen, so sehr weinte sie. Das ist bestimmt die Strafe für das, was ich gemacht habe, dachte sie. Jeder Teufel kommt einmal in die Hölle.
    Und sie weinte und schluchzte so sehr, dass sie nicht hörte, wie ganz in der Nähe Zweige knackten.
    »Malu, da bist du ja!« Johann stand vor ihr. Als er ihr tränenüberströmtes Gesicht sah, hockte er sich hin, nahm sie in die Arme und streichelte ihr beruhigend über den Rücken. »Wir haben dich gesucht. Alle haben dich gesucht«, flüsterte er. »Wie gut, dass ich dich gefunden habe. Alle haben sich Sorgen gemacht.«
    »We-her denn?«, schluchzte Malu.
    »Na, alle eben. Nina und Ilme, dein Vater und der Kutscher Will, Constanze und meine Mutter. Sie hat dich übrigens in den Wald gehen sehen. Als du ewig nicht wiederkamst, ist sie rüber zum Gutshaus gelaufen. Schwarzrock, der Verwalter, hat für sich und deinen Vater die Pferde gesattelt. Der Förster Schneider hat die Hunde geholt, und wir anderen laufen seit einer Stunde durch den Wald und rufen nach dir. Aber jetzt bist du ja da. Ich bin so froh.«
    Malu sah auf. »Bist du wirklich froh? Ich dachte immer, ich gehe dir auf die Nerven.«
    Johann lächelte und drückte sie noch einmal an sich. Dann zog er seine Jacke aus und hängte sie Malu über die

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