Sehnsucht und Erfüllung
sie verheiratet war? Dass sie sich als Kelly Baxter vorgestellt hatte, hieß nicht, dass sie keinen Mann hatte. Manche Frauen behielten nach der Heirat ihren Mädchennamen bei. Unschlüssig blieb Shane neben seinem Wagen stehen. Die Frau eines anderen sollte dessen Sorge sein, nicht seine.
Shane ging zum Haus hinüber. Wenn sie einen Mann hatte, dann war dieser nicht ganz bei Trost, sie allein wegfahren zu lassen. Eine Schwangere würde nicht wegen eines banalen Ehekrachs Zuflucht in einer entlegenen Blockhütte in Texas suchen. Nein, was auch immer Kelly Baxter zu schaffen machte, es musste etwas Ernstes sein.
Er konnte sich nicht abwenden. Ausgeschlossen.
Ohne erst an die offene Tür zu klopfen, betrat er das Blockhaus und ging Richtung Küche. Er spürte, dass Kelly dort war und putzte. Er überlegte nicht lange, wieso er sich da so sicher war, denn er hatte sich längst an diese Fähigkeit, die manche Leute den sechsten Sinn nannten, gewöhnt. Dieser Instinkt, der ihm etwas von einem Puma gab.
Die Möbel waren zwar noch mit Tüchern verhängt, doch überall lag Staub, und es gab jede Menge Spinnweben. In der Küche war bereits Staub gewischt worden und der Boden war gefegt.
Kelly stand an der Spüle und ließ das Wasser laufen. Sie hatte ihr blondes Haar mit einer Spange hochgesteckt, doch ein paar Strähnen hatten sich gelöst. Es war fast so lang wie seins, wirkte jedoch weich und leicht, beinah fedrig. Von hinten sah sie nicht schwanger aus, sondern schmal und zart, und ihr zerknittertes Sommerkleid wirkte eine Nummer zu groß.
Erschrocken drehte sie sich um. “Was machen Sie denn hier?” Aus dem Schwamm in ihrer Hand tropfte Wasser und lief ihr übers Handgelenk.
Insgeheim verwünschte sich Shane, dass er in ihre Privatsphäre eingedrungen war, ohne anzuklopfen. Sie hatte Angst vor ihm. Und vor seiner Ausstrahlung. Das Raubkatzenhafte an ihm war ihr unheimlich.
“Tut mir leid, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich wollte nur sehen, ob Sie vielleicht Hilfe brauchen.”
Sie trocknete sich die Hände an einem Papiertuch ab. “Mir war nicht klar, wie schmutzig es hier sein würde. Ich nahm an, der Verwalter hätte sich darum gekümmert. Als ich anrief, um mich zu beschweren, entschuldigte sich die Mitarbeiterin zwar, erklärte mir jedoch, dass frühestens übermorgen jemand zum Putzen kommen könne.”
Shane deutete auf die auf dem Tresen stehenden Putzmittel. “Sieht aus, als hätten Sie alles Nötige mitgebracht.”
“Kaum. Ich habe das ganze Zeug in dem kleinen Laden an der Ecke besorgt.”
Shane nickte. Der kleine Laden, in dem alle Waren überteuert waren, gehörte zu einer kleinen Tankstelle.
“Sie haben also Barry kennengelernt.”
Sie lächelte amüsiert. “Wenn Sie diesen neugierigen alten Kauz mit dem Kautabak im Mund meinen, ja. Er ist wirklich ein uriger Typ.”
Shane erwiderte ihr Lächeln. Barry Hunt steckte nicht nur seine Nase in anderer Leute Angelegenheiten, er liebte es auch zu tratschen. Bald würde jeder im Umkreis wissen, dass eine junge schwangere Frau namens Kelly Baxter im Blockhaus ihres Großvaters wohnte. Plötzlich hatte Shane das Gefühl, Kelly und ihr ungeborenes Kind beschützen zu müssen. Misshandelte und verlassene Geschöpfe spielten in seinem Leben nun mal eine zentrale Rolle. Aber nicht verheiratete Frauen, ermahnte er sich.
“Weiß Ihr Mann, dass Sie hier sind?”, erkundigte er sich.
Seine Direktheit verunsicherte sie. “Nein. Ich meine, ich bin nicht …”Sie legte eine Hand auf ihren Bauch, eine unbewusst mütterliche Geste. “Ich bin nicht verheiratet, aber meine Mutter weiß, dass ich hier bin.”
Diese Bemerkung klang fast wie eine Warnung, und er erkannte, dass sie ihm immer noch nicht über den Weg traute. Kein Wunder. Vorhin auf der Veranda war er nicht gerade freundlich zu ihr gewesen. Aber ihr Anblick hatte ihn schlagartig in die Vergangenheit versetzt – in die schmerzlichste Zeit seines Lebens.
“Ich kann Ihnen putzen helfen.”
“Danke, aber das ist nicht nötig.”
“Ich habe selbst mal hier gewohnt und kenne mich bestens aus.”
Sie lehnte sich gegen die Spüle. “Grandpa kaufte das Blockhaus von einem Ehepaar namens Mendoza.”
“Ja, ich weiß. Ich habe für die Mendozas gearbeitet. Sie boten mir Kost und Logis als Gegenleistung für Reparaturen und Bauarbeiten im Wildgehege. Natürlich bekam ich auch ein kleines Gehalt.” Shane hielt inne, weil sich das anhörte, als sei er so etwas wie ein Tramp gewesen. Aber zu
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