Sehnsucht

ihn nach der Marke seines Schlägers und er antwortete, er spiele nur noch mit Babolat, die seien besser als Wilson, und außerdem würden alle im Verein nur noch mit Babolat-Schlägern spielen. Als ich ihn frage, wo er denn seine Klamotten kaufe, antwortete er, dass er seit Jahren nur noch bei Ansons kaufe, das sei nun mal Qualität, er würde überhaupt nicht mehr in andere Läden gehen. Und meiner Frage zuvorkommend bemerkt er, sein Laptop sei ein Mac, das sei nun mal der Mercedes unter den Laptops, seitdem er den habe, gebe es keine Probleme mit Viren mehr. Der Mann erscheint rundum gut ausgestattet, alles Markenwaren. Er fühlt sich geschmeichelt, als ich seinen guten Geschmack lobe, bemerkt aber einschränkend, dass seine Tennishemden von Lacoste alle auf dem Polenmarkt gekauft worden seien, im letzten Urlaub in der Nähe von Usedom. Seine Frau beginnt ihren kleinen Bericht mit dem Hinweis, ihre Louis-Vitton-Tasche sei ein Imitat aus der Türkei, die habe ganz wenig gekostet, zumindest viel weniger als die echte. Und in ihrer ganzen Modekollektion gebe es nur zwei Artikel von Prada, aber Natalie verbessert ihre Mutter sofort und sagt, es wären fünf. Der vollständige Bericht der Familie, an dem sich zunehmend alle lebhaft beteiligen, besteht aus einer Aufzählung von Marken und Labels. Am Schluss bemerke ich, dass sich ja alle sehr gut auskennen würden und Leon einen guten Geschmack habe, eben ein richtiges Kind seiner Familie sei. Er grinst seinen Vater an und der scheint leicht irritiert.
    Dann frage ich sie alle, welche Bedeutung diese Symbole für sie hätten: Der Mercedes steht für Sicherheit und Qualität, Louis-Vitton für Exklusivität und guten Geschmack, Lacoste für Erfolg und Sportlichkeit, Prada für Weiblichkeit und Eleganz usw. Meine Frage, ob sie diese Attribute in ihrem Leben nicht auch anders erreichen könnten, finden die Kinder schräg und die Eltern ungewöhnlich, aber irgendwie auch verständlich. Sie hätten bis jetzt immer gedacht, sie seien normal. Aber anscheinend seien diese Markenlabels doch wichtiger, als sie bislang glaubten. Aber wenn Leon die Schule schwänze, weil er nicht genügend Markenjeans habe und sie dann auch noch klaue, sei irgendwie Schluss mit lustig.
    Zudem fällt dem Vater auf, dass diese Symbolik der Markenlabels recht teuer sei, bestimmt ein Drittel des Preises gehe jeweils auf das Label. Symbolik ist eben etwas teurer. Meine Bemerkung, in der heutigen Welt würde mehr Geld für Modeartikel und Kosmetika ausgegeben als für Nahrungsmittel, finden sie nicht ungewöhnlich oder zu moralisch, sondern bestätigt sie in ihrem Gefühl absoluter Normalität. Alle sind sich darin einig, dass Kleidung mehr sein müsse als ein warmer Schal oder bequeme Schuhe. Und Leon ergänzt, dass er sich ohne seine Pudelmützenackt fühlen würde, so sei das nun mal im Leben. Und warum, frage ich ihn, hat er nun die Jeans geklaut, warum muss es unbedingt die Markenjeans sein? Er zuckt die Schultern und sagt: Weil die »in« ist, weil sie alle haben, weil ich dazu gehören will und wenn ich die nicht habe, dann bin ich draußen .
    Nur mit dieser Jeans ist er ein Teil seiner Gruppe und das Label symbolisiert seine Haltung, seinen Lebensstil. Wenn er nicht dazu gehören kann, dann besorgt er sich das Label auf seine Art. Er sehnt sich nicht nach einer Jeansmarke, sondern nach Zugehörigkeit zu seiner Gleichaltrigengruppe. Aber die Jeans ist das Eintrittsticket, ohne das er nicht in die Gruppe hineingelassen wird. Man muss die Sache von ihrer Bedeutung unterscheiden, denn eine Hose ist nicht nur eine Hose. Für Leon kann die richtige Hose Freundschaft bedeuten und die falsche zu tiefer Einsamkeit führen. Sehnsüchte haben immer eine besondere Beziehung zur Symbolik. Sie treten auf in einer Verkleidung oder einer Maske und man muss diese lesen können, um die hinter den Dingen verborgenen Sehnsüchte zu verstehen.
    Symbolische Handlungen
    Wenn eine Fahne ein Symbol darstellt, dann kann das Verbrennen einer Fahne die massiven Aggressionen gegen das Land zum Ausdruck bringen und zugleich können diese Aggressionen in der symbolischen Handlung des Verbrennens zu einem Teil befriedigt werden. Der Anschlag auf die Twintowers des World Trade Centers und das Pentagon am 11. September 2002 hat die US-Amerikaner auch deshalb so verletzt, weil damit nicht nur wichtige Gebäude,