Sehnsucht

aufgeklärter Menschen. Dies erscheint manchen Zeitgenossen als eine moderne Errungenschaft, ist aber ein Jahrhunderte alter Brauch. Schon immer musste in nahezu allen Kulturen und Religionen der Vollzug der Ehe gemeldet werden, nachdem möglichst noch in der Hochzeitsnacht zwischen den Jungvermählten Geschlechtsverkehr stattfand. Sind die Kinder dann erst einmal auf der Welt und durchlaufen ihre verschiedenen Entwicklungsphasen, dann erinnern sich beide mit romantischer Verklärung an diese wunderbare Zeit der Liebe und der Hochzeit.
    Wenn beide Partner erst einmal in den verkehrsberuhigten Zonen der Zwischenmenschlichkeit im Hafen der Ehe gelandet sind, werden ihnen von ihren Kindern neue Aufgaben gestellt: An welchen Symbolen erkennt man die Sehnsüchte der Kinder? An den Labels auf den Jeans. Da muss es nun mal eine Fubu oder eine Southpole sein, und wer die nicht trägt ist eben out. Was das heißt und welche Konsequenzen dies haben kann, wissen die Eltern nur allzu gut.
    Markenlabel und ihre symbolische Bedeutung
    Wir haben von der Lehrerin die Nachricht bekommen, dass unser Sohn Leon seit einigen Wochen die Schule nur noch unregelmäßig besucht hat. Manchmal ist er dort gar nicht erst aufgetaucht, obwohl er normal von zu Hause losgegangen ist, und an anderen Tagen ist er in den Pausen einfach verschwunden. Letzte Woche haben wir beide ihn zur Rede gestellt und dabei herausgefunden, dass er sich täglich mit Freunden im Einkaufszentrum trifft und dort viel Zeit verbringt. Dabei kam dann als Krönung des Ganzen heraus, dass er dort geklaut hat und dabei erwischt wurde. Anscheinend macht er das schon länger, hatte bis jetzt aber immer Glück und der Diebstahl wurde nie bemerkt. Er hat Klamotten im Wert von ungefähr 250 geklaut und die Anzeige soll noch kommen. Wir haben mit der Klassenlehrerin offen über alles gesprochen, die hat uns erst mal beruhigt und gesagt, dass sie so was schon öfter erlebt hat mit Jungs in dieser Altersgruppe und uns eine Familienberatung empfohlen. Deshalb sind wir hier. Wir sind einfach ratlos, weil Leon immer so ein ruhiges Kind war und wir dachten, dass alles in Ordnung sei. Was ist denn Ihre Erfahrung, warum verhält er sich so? Warum haut er aus der Schule ab und geht ins Einkaufszentrum klauen? Was steckt denn dahinter?
    Mein Gefühl mit der Familie ist erst einmal gut, ich schätze Eltern, die sich um ihre Kinder sorgen, beide in eine Familienberatung gehen, um ihre Familie besser zu verstehen und sich dann auch noch fragen, was hinter den Symptomen möglicherweise an tieferen Themen verborgen sein mag. Insofern hatte diese Familienberatung einen guten Start. Neben den Eltern sind auch beide Kinder gekommen: Leon ist 11 Jahre alt und seine Schwester Natalie 14. Natalie feilt sich die Fingernägel während der Sitzung und wirkt extrem gelangweilt, während Leon schuldbewusst erscheint. Ihn nervt weniger, dass er geklaut hat, sondern dass er so blöd war, sich erwischen zu lassen. Ich frage Leon, wie er sich die ganze Situation erkläre und er antwortet nach einigem Zögern:
    Ich habe nur Scheißklamotten im Schrank, mit denen kann ich mich in der Schule nicht mehr sehen lassen. Ich habe nur noch ein Paar Jeans, die ich immer anziehe und deshalb hab ich mir neue geklaut. Meine Eltern geben mir ja nicht genug Taschengeld und die meisten Klamotten, die ich habe, zieh’ ich nicht mehr an.
    Es stellt sich heraus, dass die Kinder in Leons Klasse nur Markenware tragen. Er hat sich geschämt, in seinen normalen Klamotten in die Schule zu gehen und daher die Markenwaren geklaut. Diese Erklärung von Leon war für die Familie ebenso simpel wie erschütternd. Seine Mutter zählte ihm auf, wie viele Hosen, Hemden, T-Shirts und Pullover er in seinem Schrank habe, aber er winkte nur ab, das sei alles Schrott, das könne man doch in seinem Alter nicht mehr anziehen. Sein Vater rechnete ihm vor, was diese Klamotten mit dem Label alles kosten würden und dass er sich dies nicht leisten könne. Daraus entwickelte sich eine gemeinsame und sehr spannende Diskussion über alle Labels der Familie und wie viel Geld sie kosten würden.
    Ich fragte den Vater nach seinen Labels. Als erstes fiel ihm der Stern auf seinem Auto ein, aber der Mercedes garantiere ja nicht nur ihm ein gutes Gefühl auf der Straße, sondern auch Sicherheit für seine Familie. Da er nebenbei erzählte, dass er Tennis spiele, fragte ich