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Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition)

Titel: Sei dennoch unverzagt: Gespräche mit meinen Großeltern Christa und Gerhard Wolf (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Simon
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wussten, dass sie ihn sehr schätzt.« Das sei ein sympathischer Mann gewesen, der ihr sehr geholfen habe, das Kind zu kriegen.
    Wir müssen alle lachen. Dann ist für einen Augenblick Stille.
    JS     Wie ging das weiter?
    CW     Doktor Lechner war in der »Reichskristallnacht« in Berlin, kehrte nach Landsberg zurück, und da waren alle Juden der Stadt in die Turnhalle der Mittelschule gebracht worden. Er musste auch dorthin. In seiner Tasche hatte er aber eine Ausreisegenehmigung für Amerika. Er wurde verhört, dafür waren zum Teil alte SPD -Leute zuständig. Lechner sagte, er habe schon die Überfahrt, ihm fehle nur noch die Schiffsfahrkarte. Man ließ ihn ziehen. Im November 1938 brachte Tante Elfriede ihn zum Bahnhof, und er ging fort. Nach dem Krieg ließ meine Tante ihn durch das Rote Kreuz suchen. Er lebte in Chicago und war inzwischen verheiratet. Sie schrieben sich zwei-, dreimal, dann brach sie den Briefwechsel ab. Sie wollte nicht in seine Familie eindringen. Später schrieb sein Sohn Gerhard ihm und fragte, ob er ihm ein Darlehen für sein Studium geben könne. Lechner schickte ihm tatsächlich Geld und hörte nie wieder von ihm.
    JS     Was für eine traurige Liebesgeschichte.
    CW     Ich weiß nicht, wo Gerhard heute lebt. Diesen Briefwechsel müsste man einmal veröffentlichen, aber wegen des Sohnes habe ich es bisher nicht gemacht.
    JS     Oma, bei dir war es etwas anders als bei Opa, du warst aus Überzeugung Mitglied im Bund Deutscher Mädel.
    CW     Absolut. Als ich eintrat, wurde die Hitlerjugend gerade Staatsjugend, da musste jeder hinein, aber mich hätte man nicht drängeln müssen. Ich war zehn Jahre alt und wollte dahin.
    JS     Warum, was war für dich das Faszinierende daran?
    CW     Mich hat … ja … der »Führer« fasziniert.
    JS     Die Person oder was er gesagt hat?
    CW     Ich habe am Radio gesessen und seine Reden gehört – dieses Gebell und dieses Deutsch. Jana, du musst dir vorstellen, ich hatte schon in der ersten Klasse einen überzeugten Nationalsozialisten als Lehrer, einen SA -Mann, der in Uniform in die Schule kam. Er gab Religionsunterricht und hat Jesus Christus als Vorläufer unseres »Führers« dargestellt. Er hat uns beigebracht, dass Deutschland durch Verrat den Ersten Weltkrieg verloren hat, durch den Verrat von Juden und Kommunisten. Dann sei dieses »Schanddiktat« von Versailles gekommen, und jetzt endlich richte sich Deutschland wieder auf. Der »Führer« sei da, um das deutsche Volk zu neuen Höhen zu führen. Ich empfand das als etwas Aufbauendes, als etwas, das einen stolz machen konnte.
    GW     Mit einem Ruck flaute auch die Wirtschaftskrise ab. Es gab einen Aufschwung. Man hatte das Gefühl, es ging aufwärts, vorwärts, wohin, wusste man ja noch nicht …
    CW     Na gut, das habe ich als Kind nicht so wahrgenommen. Bei mir kommt eine Eigenschaft hinzu, die bei Gerd viel schwächer ausgeprägt ist. Ich war unglaublich begeisterungsfähig. Ich wollte mich für etwas begeistern, an etwas glauben. Ich erinnere mich, wie ich mich mit einer Freundin, die genauso dachte wie ich, auf dem Schulhof unterhielt: Na ja, die jetzige Generation wird noch nicht so sein, wie der »Führer« sie will. Aber wenn wir erwachsen sind, werden wir so sein, wie der »Führer« uns haben will. So einen Quatsch haben wir erzählt, mit neun, zehn Jahren.
    JS     Und wie dachtet ihr, dass der »Führer« euch haben will?
    CW     Als deutsche Frauen und Mütter. Als Menschen, die sich begeistern können, als Menschen, die für Deutschland leben und auch sterben würden. Es gab diese furchtbare Linie im Nationalsozialismus: diesen Todeskult.
    JS     Es ging darum, sich aufzuopfern?
    CW     Es gibt ganz düstere Lieder und Gedichte: »Deutschland muss leben, und wenn wir sterben müssen« 8 , diese Losung hing im Zeichensaal meiner Schule.
    GW     »Wer leben will, der kämpfe also, und wer nicht streiten will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient das Leben nicht – Führerwort«. Das stand in den Poesiealben.
    JS     Waren das Sprüche, oder hat sich eure kindliche Seele wirklich dafür begeistert, sich aufzuopfern?
    GW     Darüber dachte man nicht so nach.
    CW     Zum Kriegsende, als wir 15 , 16 Jahre alt waren, gab es welche, zu denen wir nicht gehörten, die noch in den letzten Kampf für Hitler zogen.
    GW     Es gibt Bilder, auf denen zu sehen ist, wie Hitler ganz kleine Jungen mit dem

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