Sei lieb und büße - Thriller
blickt auf. Streift seine Augen. Sieht, wie er von ihr zu dem pinkfarbenen Einband und wieder zurückblickt. Dann lässt er sich mit einem Seufzer auf den Stuhl fallen.
»Wenn ich meine Schuhe ausziehen darf? Die drücken nämlich.«
FREITAG, 22. JUNI 2012
60
Das Weckerläuten erlöst mich aus meinem unruhigen Halbschlaf. Nur Träume, bete ich mir seit einer halben Stunde vor. Es sind nur Träume. Ich weiß nicht, wem ich das einzureden versuche. Ich weiß, dass es keine Träume sind. Egal, wie oft ich es mir vorsage. Es sind Rik und Mia. Sie haben sich verbündet, da oben im Himmel, und jagen mich so lange durch die Hölle, bis ich tue, was ich ihnen schulde.
Wenn ich nicht so feige wäre.
Feige.
Das mit Mia war schlimm genug. Es hätte nicht so weit kommen dürfen. Sie sollte eine Abreibung bekommen.
Eine Abreibung.
Kein Todesurteil.
Weil Laureen keine Grenzen kennt. Sie denkt, sie ist Gott. Diese albernen weißen Zimmer. Als könne das Weiß der Einrichtung ihre Seele reinwaschen.
Und ich? Warum habe ich nicht Stopp gesagt?
Erst fand ich es witzig. Damals, in Laureens Himmelszimmer. Als wir das erste Posting auf Mias Seite gestellt haben. Was ist eine Schlampe? Das war von mir. An dem Tag, als Bessy mir von Mias Foto in Riks Geldbeutel erzählt hat. Wie konnte sie Clemens nur mit seinem besten Freund betrügen! Erst haben wir das mit der Schlampe gepostet und schließlich habe ich ihnen hinterherspioniert. Mir war nach der Aktion doch etwas mulmig und ich wollte sichergehen, dass ich Mia nicht zu Unrecht verdächtigt habe. Ich erinnere mich noch genau. Es hat geregnet und ich war schrecklich aufgeregt. Sie sind ins Glanzlicht und ich habe Bessy angerufen und sie gebeten zu kommen, allein wäre ich bestimmt aufgefallen. Und dann habe ich sie gesehen. Mia und Rik. Sie haben dagesessen wie die Unschuld in Person, in der letzten Reihe, und haben heimlich Händchen gehalten. So peinlich.
Ein paar Tage später habe ich Mia in der Dusche erwischt. Ich habe einfach mit einem Knopfdruck die Kamera von meinem Handy angemacht und auf sie draufgehalten. Ich weiß nicht warum. Vielleicht, weil sich die Gelegenheit ergeben hatte. Vielleicht, weil ich noch so sauer war. Ich hatte keinen Plan. Ich hab das einfach nur so gemacht.
Kurz darauf ist Clemens aus Georgien zurückgekommen und sah aus wie ein geprügelter Hund. Ich habe ihn gleich auf Mia angesprochen, aber er hat total geblockt. Nur gesagt, dass alles in Ordnung sei, dabei konnte das sogar ein Blinder sehen, dass nichts in Ordnung war. Da kam mir die Idee mit der Scheiße auf der Fußmatte. Ich fand das angemessen für den Verrat an Clemens. Laureen jedoch meinte, das sei noch zu harmlos, und hat das verzerrte Foto auf Facebook hochgeladen, aber das hat Mia überhaupt nicht gestört. Sie hat überhaupt nicht reagiert. Und daraufhin kam Bessy auf die Idee mit der MMS.
Ich hätte Nein sagen sollen. Aber an dem Abend habe ich Clemens gesehen. Er hat geweint. Sein schöner, neuer, schlanker Körper hat sich geschüttelt vor Kummer. Er dachte wohl, er wäre allein, und ich habe ihn damals in dem Glauben gelassen, obwohl ich am liebsten zu ihm gelaufen wäre und meine Arme um ihn gelegt hätte. Aber er hätte sich geschämt. Er ist doch der große Bruder. Und da hat irgendwas bei mir klick gemacht und ich habe Bessy den Film von Mia geschickt und gesagt: Go!, und sie hat aus dem Film ein Standbild rausgeschnitten und als MMS an genau die Jungs geschickt, die es mit Sicherheit schnell verbreiten würden.
Wenn ich nur diesen einen Knopfdruck auf meinem Handy rückgängig machen könnte! Aber ich wusste doch nicht, wie weit Bessy und Laureen noch gehen würden!
Es tut mir leid, Mia.
Ich weiß. Es ist sehr spät, um mich bei dir zu entschuldigen.
Viel zu spät.
Aber ich meine es. Von ganzem Herzen.
ES TUT MIR LEID, MIA.
LEID, LEID, LEID!
Ich bitte dich nicht, mir zu verzeihen. Was ich getan habe, ist nicht zu verzeihen.
Ich werde damit leben müssen. Mit deinem Tod im Huckepack wie einem ungebetenen Gast. Aber ich beschwere mich nicht. Das ist der Preis dafür, dass du tot bist und ich lebe.
Auch für dich tut es mir leid, Rik. Wirklich.
Doch bei dir ist meine Schuld nicht so groß. Du hast Cruella geweckt. Das warst du ganz allein. Sie hätte geschlafen. Niemand hätte mehr zu Schaden kommen müssen. Als du mich auf sie angesprochen hast, habe ich abgeblockt. Ich weiß, dass ich überzeugend gewesen bin. Das war nicht schwer. Ich bin nicht Cruella.
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