Sei lieb und büße - Thriller

und der Lehner sagt, dass sie zu blöd ist, einen Ball zu fangen.«
    Ihre Mutter tritt einen Schritt zurück und betrachtet Sinas Gesicht genauer.
    »Tut außer der Lippe noch etwas weh?«
    »Die Nase.«
    Sina stöhnt, als ihre Mutter die Nase vorsichtig abtastet.
    »Kann sein, dass sie angebrochen ist. Und dieser Lehner hat dich in diesem Zustand Strafrunden laufen lassen?«
    Sina nickt.
    »Der spinnt wohl! Dem werde ich was erzählen.« Entrüstet schiebt sie Sina und Ben in die Wohnung. »Jetzt kommt, das Essen wird sonst kalt.«
    Während sie Ben aus der Jacke hilft, streift Sina blitzschnell die Schuhe ab und läuft zu ihrem Zimmer.
    »Sina!«, ruft ihre Mutter hinter ihr her. »Wo ist deine neue Jacke?«
    Wie erstarrt bleibt Sina stehen. Da ist er. Der leise Unterton. Lauernd. Als wüsste ihre Mutter bereits, dass sie ihr wertvolles Geschenk verschlampt hat. So wie sie angeblich alles verschlampt, weil ihr egal ist, wie viel Mühe andere sich für sie machen. Jetzt nur nichts Falsches sagen. Jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt werden. Ihre Notlüge muss wasserdicht sein, damit ihre Mutter keinen Verdacht schöpft.
    »Bei Tabea. Deswegen bin ich auch zu spät zum Training gekommen. Der Lehner hat die Umkleide nicht abgesperrt und ich wollte die Jacke nicht dort hängen lassen. Also hab ich sie zu Tabea gebracht, die wohnt in der Nähe.«
    Ihre Mutter schaut sie überrascht an, als könne sie nicht glauben, dass ihre Tochter in der Lage ist, so umsichtig zu handeln. Dann lächelt sie. »Du wirst ja richtig erwachsen. Aber den Lehner knöpfe ich mir vor, das sag ich dir. So nicht.«
    »Hallo, Laureen, Sina hier. Ich wollte noch mal Danke für deine Hilfe sagen. Wir sehen uns dann morgen in der Schule. Tschüss.«
    Sina legt auf, verstaut die Klassenliste in der Schublade und wendet sich dem Computer zu. Wenn Laureen vorhin nicht eingeschritten wäre … die Jacke wäre völlig im Eimer. Ein Schauer läuft über Sinas Rücken. Sie hätte die Jacke verschwinden lassen und als gestohlen melden müssen. Welche Ironie, dass ausgerechnet Laureens Modewahn sie gerettet hat.
    Das Chatfenster blinkt auf.
    Melle: Na, was Neues aus der Provinz?
    Sina: Meine Jacke ist voller Schmiere.
    Melle: Die neue Move?
    Sina: :-((((
    Melle: Autsch! Und deine Mutter?
    Sina: Denkt, sie ist bei Tabea. Laureen bringt sie in die Reinigung.
    Melle: DIE Laureen????
    Sina: Ja. DIE Laureen. Ich kann es selbst nicht fassen.
    Melle: Krass. Du und die Pradazicken. Ich fall vom Glauben ab!
    Sina: Tabea und Laureen haben mir echt geholfen. Die sind in Ordnung. Noch was: Stell dir vor, Bessys Vater gehört Move.
    Melle: Nicht wahr.
    Sina: Echt wahr!
    Sina grinst bei dem Gedanken an Melles Gesichtsausdruck im fernen Berlin. Wie gern würde sie jetzt in Melles Dachzimmer sitzen. Doch Melle ist in Berlin und sie in Kranbach. Vielleicht sollte sie sich endlich damit abfinden. Vielleicht sollte sie anfangen, neben Frederik auch andere Menschen in Kranbach wahrzunehmen. Vielleicht sollte sie ihre Vorurteile fallen lassen und den Leuten hier eine Chance geben – vielleicht sind sie ganz anders, als sie glaubt. So anders wie Tabea und Laureen.
    17
    8.   April 2011, ungefähr halb zwölf
    Vor lauter Rik bin ich wieder nicht zum Schreiben gekommen.
    Der Abend mit Rik an unserem Jubiläum war gigantisch. Er hat mich abgeholt und ist mit mir ins Glanzlicht zu einer superlustigen One-Man-Show. Blöd war nur, dass Bessy und Tabea auch dort waren, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass sie uns nicht gesehen haben. Und danach sind wir in der Tapas-Bar neben dem Rathaus gewesen und haben mit ziemlich viel Tequila auf uns angestoßen. (Natürlich so, dass keiner gemerkt hat, dass wir ein Paar sind.)
    Je länger wir zusammen sind, desto klarer wird, dass wir zusammengehören. Ich weiß nicht, warum ich mir das die letzten Tage immer sagen muss. Vielleicht bin ich einfach nervös, weil Dickie nächste Woche heimkommt.
    Heute war ich das erste Mal seit vier Tagen wieder auf Facebook und zum Glück haben diese komischen Postings von Cruella aufgehört. Drei Mal hat sie letzte Woche die Frage »Was ist eine Schlampe« auf meiner Facebook-Seite gepostet. Ich habe es zwar jedes Mal gleich gelöscht, aber es hat mich total irritiert. Was will diese Cruella von mir?
    Ich war auf ihrer Seite und die ist echt krass drauf. Da wird nur abgelästert. Eines der letzten Postings war ein Link zu einem Youtube-Video, in dem sich ein zwölfjähriges Mädchen vorgestellt und gesagt