Sei lieb und büße - Thriller
ihrer. »Leder kann man doch abwaschen, oder?«
»Nicht Wildleder!« Ihre Stimme ist schrill. »Und nicht Schmiere!«
Sie zieht die Jacke wieder an. Atmet tief durch. Nachdenken. Ruhig bleiben. So kann sie nicht nach Hause. Sie muss etwas tun.
14
Wie süß! Brüderchen und Schwesterchen! Wie ihr dasteht und auf die Jacke starrt. Wahrscheinlich überlegt ihr gerade, wie die Schmiere daraufgekommen ist.
Ich muss näher ran. So kriege ich nicht mit, was ihr sagt. Ich drücke den Ast weg, kämpfe mich weiter durchs Gebüsch. Au! Wie Haifischzähne verbeißen sich die Dornen in meinen Ärmel.
Na, rätselt ihr noch? Ich könnte euch genau sagen, was passiert ist. Aber das werde ich natürlich nicht. Vielleicht gebe ich dir den Tipp, deine Jacke nicht mehr in der offenen Umkleide hängen zu lassen.
Oh. Ihr dreht um. Kommt auf mich zu.
Schnell drücke ich mich tiefer ins Gebüsch. Scheißdornen. Wehe, meine Bluse zerreißt.
Bens Kinderstimme dringt zu mir. Quiekend, als habe er Angst. Wie kann man nur so überreagieren? Es ist doch nur ein Fleck. Auf der Jacke seiner Schwester. Adrian hätte voll Schadenfreude gelacht und Clemens hätte gesagt, dass ich mich nicht so anstellen solle.
»Woher willst du wissen, dass Tabea Fleckenentferner hat?«
Ihr wollt zu mir? Welch grandiose Idee!
»Hast du nicht gesehen, wie picobello es bei denen ist?«
Jetzt sind sie auf meiner Höhe. Reglos ertrage ich die Dornen, die meinen Arm drangsalieren. Plötzlich wird mir klar, wie licht die Zweige sind. Ich höre das ungleiche Schleifen von Sinas Kette. Auf ihren Wangen glitzern Tränen. Sie muss nur den Kopf zu mir drehen und genau hinsehen, dann wird sie mich bemerken.
»In einem Haus, in dem es so geleckt aussieht, ist die Mutter voll ausgestattet. Garantiert.«
Da hast du recht, Sina. Meine Mutter ist mit Putzmitteln ausstaffiert wie ein Drogeriemarkt. Aber das Problem mit Schmiere auf einer hellen Wildlederjacke ist, dass du sie nicht herausbekommen wirst. Egal, was du tust – du wirst den Fleck vergrößern.
Wie Ben dir die Hand hält! Ihr seid ja nicht ganz dicht. So benehmen sich doch keine Geschwister. Sina dies, Sina das – nein, Schina sagt er, er kann ja nicht mal normal sprechen, voll behindert klingt das, wenn er den Mund aufmacht.
»Meinst du?« Wieder Bens Stimme, ein bisschen weniger quiekend. »Wenn Tabea uns wirklich hilft, dann sag ich auch nie wieder was Blödes über sie, versprochen.«
»Das solltest du auch nicht, wenn sie kein Fleckenmittel hat. Tabea ist meine Freundin, gewöhn dich daran.«
Deine beste Freundin, Sina. Ich werde für dich da sein, wenn deine Jacke gleich unrettbar zerstört ist. Ich werde dich trösten und dir zuhören. Und schon bald wirst du mir erzählen, was Rik dir anvertraut hat.
15
»Sie muss einfach da sein.«
»Es macht aber niemand auf.«
Sina öffnet das Gartentor und läuft zur Haustür. Dort klingelt sie erneut.
»Was soll das bringen?«, mault Ben.
»Vielleicht ist die Klingel am Tor kaputt.«
»Habt ihr was vergessen?«, ertönt plötzlich Tabeas Stimme hinter ihnen.
Sina nimmt den Finger von der Klingel. Eine Woge der Erleichterung durchströmt sie, als Tabea gemächlich zum Haus schlendert.
»Ihr habt Glück, dass Bessy mir gerade abgesagt hat. Ich war schon auf dem Weg zu ihr.«
»Du musst mich retten!«
»Hast du dich geschlägert?«
Sinas Zunge fährt über ihre Lippe. »Nur ein Ball. Nein, es ist viel schlimmer. Schau dir meine Jacke an!« Sie dreht sich um und spürt Tabeas Finger über die Flecken gleiten.
»Das ist übel. Wie hast du das denn geschafft?«
»Keine Ahnung«, stöhnt Sina. »Hast du Fleckenentferner?«
»Mit Sicherheit. Meine Mutter hat eine ganze Palette im Keller. Für jede Sorte Fleck ein eigenes Fläschchen. Kommt rein.«
Tabea schließt die Tür auf und lässt Sina und Ben vor sich eintreten. »Geht schon mal in die Küche, ich komme gleich.«
Sina und Ben durchqueren die Eingangshalle, vorbei an dem Bauernschrank, in dem vor ein paar Stunden noch ihre Jacke hing – sicher und sauber. Sie betreten die geräumige Wohnküche. Dort zieht Sina die Jacke aus und breitet sie auf dem quadratischen Bauerntisch aus. Die gemütliche Atmosphäre und das warme Holz erinnern sie an die Küche in Berlin. Wären sie nur nie von dort weggezogen. Ben streift an ihr vorbei und setzt sich. Sein Gesichtsausdruck verrät, dass auch er an Berlin denkt. An die Zeit, als ihr Vater seinen Schlüssel nie brauchte, weil Ben jeden Abend schon an
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