Sei lieb und büße - Thriller
der Mitschüler zu spüren.
Tabea, Bessy und Laureen haben ihr sogar gratuliert. Es sei gut, dass sie sich endlich zur Wehr setze. Sina seufzt. Sosehr sie sich in diesem Punkt auch irren: Was täte sie nur, wenn die drei nicht so bedingungslos zu ihr halten würden?
Sie biegt in den Frieder-Wilhelmi-Bogen ein und erreicht kurz darauf das Mehrfamilienhaus, in dem Frederik sich mit Max eine Wohnung teilt. Ihr Finger gleitet über die Klingelschilder und läutet bei »Lofer/Kirk«.
»Hallo?«
»Sina. Du weißt schon, Riks –«
Ein Surren ertönt. »Zweiter Stock rechts.«
Sina presst ihre Schulter gegen das verstärkte Glas und läuft die Specksteinstufen nach oben. Im zweiten Stock dringt klassische Klaviermusik aus einer halb offenen Tür. Debussy. Mazurka. Sie summt die nächsten Takte mit und geht auf die Musik zu.
»Hallo?« Unsicher betritt sie die Wohnung. Der Flur ist schmal und mit grauem Linoleum ausgelegt, an den Wänden hängen gerahmte Schwarz-Weiß-Fotos. Porträts und Landschaftsaufnahmen. Das Klavierspiel bricht ab. Max erscheint im Türrahmen und mustert sie skeptisch.
»Ich wollte ein paar von Riks Lieblings-CDs holen.«
Max deutet auf die letzte Tür im Flur. »Dahinten ist Frederiks Zimmer. Gleich neben dem Bad.«
»Kommst du nicht mit?«
Max buschige Brauen wandern in die Höhe. »Mit? Wohin?«
»In Riks Zimmer.«
»Wozu?«
»Ich dachte …« Sie verstummt. Wie soll sie erklären, dass sie sich wie ein Eindringling vorkommt, allein in Frederiks Zimmer?
»Hör auf zu denken und hol die CDs, ich muss in zehn Minuten los.«
Frederiks Zimmer ist ganz anders, als Sina es sich vorgestellt hat. Es ist unglaublich ordentlich. Selbst der Schreibtisch ist aufgeräumt, mehrere Bücher liegen säuberlich gestapelt auf einer Seite, die Stifte stecken in einem Behälter.
Sina durchstöbert das CD-Regal. Die CDs sind alphabetisch geordnet, doch die meisten Namen auf den CD-Rücken sagen ihr nichts. Was er wohl am liebsten hört? Unschlüssig wandern ihre Finger über die CDs, dann zieht sie eine heraus, betrachtet das Cover und steckt sie wieder zurück in die Sammlung. Sie hat keine Ahnung.
»Hast du’s?« Max tritt ins Zimmer, auf seinem Kopf ein Hut, kombiniert mit einem weißen Hemd und dem schwarzen Anzug, der sie an die Blues Brothers erinnert und den er auch schon im Krankenhaus getragen hat. Sina hätte nie gedacht, dass ein Anzug so lässig aussehen kann.
»Ich weiß nicht …«
Max nähert sich und bleibt neben Sina stehen. Zielsicher greift er ins Regal, nimmt drei CDs heraus und reicht sie ihr.
»Hier. Damit bist du auf jeden Fall auf der sicheren Seite.«
Sina liest die Namen der Bands. Gossip, Sunrise Avenue, Leona Lewis. Ohne sagen zu können, auf welche Bands sie getippt hätte, diese drei wären nicht dabei gewesen.
»Meins ist es auch nicht«, kommentiert Max ihren ungläubigen Blick. »Aber Freddy fährt darauf ab. Ich müsste dann los. Meine Schüler warten nicht gern.«
»Schüler?«
»Musikschüler.«
»Hast du einen CD-Player?«, fragt Sina. »Ich kann die Musik im Krankenhaus sonst nicht abspielen.«
»Du kannst meinen alten haben, aber der ist ziemlich schrottig.« Max verlässt das Zimmer und kommt kurz darauf mit einem Gettoblaster zurück.
»Hier. Für Freddyboy. Mit den allerbesten Wünschen. Auf dass er bald wieder auf die Beine kommt.« Er lächelt sie an. »Nett, dass du dich so kümmerst.«
Schüchtern erwidert sie sein Lächeln. »Darf ich dich noch was fragen? Wegen Mia.«
»Was ist mit Mia?«
»Kannst du mir von ihr erzählen?«
Sein Blick tastet sie ab wie ein Röntgenstrahl. »Da gibt es nicht viel zu erzählen. Lieb, sehr hübsch, richtig kluger Kopf. Eines seiner Teammädels. Niemand wusste, dass sie Riks Freundin war. Bis zu ihrem Tod. Dann hat Rik sich zu ihr bekannt. Zu spät. Für sie jedenfalls.«
Außer Atem erreicht Sina das Krankenzimmer. Zehn Minuten. Mehr Zeit hat sie nicht, wenn sie pünktlich zum Unterricht erscheinen will.
»Hallo, Rik.« Sie berührt seine Hand. »Ich habe dir Musik mitgebracht. Max sagt, es sei deine Lieblingsmusik. Er hat mir von Mia erzählt. Er sagt, du warst heimlich mit ihr zusammen. So wie mit Céline. Diese Beziehung hast du auch vor den anderen verborgen, nicht?«
Nachdem sie auf dem Nachttisch Platz geschaffen hat, stellt sie den CD-Player darauf und steckt das Kabel in die Steckdose. »Warum hast du Mia verleugnet? Hat sie sich deshalb umgebracht? Ich wollte vorhin fast nicht kommen. Ich bin
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