Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
eingenommen hatte.
Shakespeare wusste, was alle Menschen zu allen Zeiten bewegt: Menschliches, allzu Menschliches. Deshalb fehlt auf keinem Spielplan deutscher Bühnen ein Stück vom Volksverführer Sir William, dem immer noch populären Garanten für ein ausverkauftes Haus. Seine Dramen sind quotenträchtig. Vor fünfzig Jahren sangen im Film Das Wirtshaus im Spessart , der auf Wilhelm Hauffs Märchen für Söhne und Töchter gebildeter Stände basierte, die beiden komödiantischen Gauner Wolfgang Müller und Wolfgang Neuss einen
Schlager aus dem Cole-Porter-Musical »Kiss me Kate« nach Shakespeares »Widerspenstigen Zähmung«-Komödie: »Schlag nach bei Shakespeare / denn da steht was drin / Kommst du mit Shakespeare / sind die Weiber alle hin« usw.
Selbst durch Goethes »Faust« ließe sich, mit ein paar unwesentlichen Änderungen, die nötige Stimmung erzeugen. So einst geschehen in einem Hamburger Volkstheater. Gegeben wurde »Faust« pur, also die bekannte Fassung, die ja nicht so gut endet, wie viele seit ihren Schulzeiten noch wissen. Hier auf St. Pauli jedoch war das normale Volk im Publikum überhaupt nicht mit Goethe pur einverstanden, als es merkte, es würde böse ausgehen. In Gruppen zogen die Besucher in Richtung Bühne, und die starken Männer unter ihnen drohten lautstark dem Darsteller des Faust nachhaltige Bekanntschaft mit ihren Fäusten an, falls er nicht sofort und öffentlich das von ihm so schändlich entehrte Gretchen heiraten würde. Das hatten sie ihren Begleiterinnen versprochen.
Erklärungsversuche des Mimen, dies sei nicht so ganz im Sinne des verblichenen Autors, machten keinen Eindruck. Entweder reiche er ihr sofort die Hand fürs Leben oder er bekäme von ihnen ein paar aufs Maul. Schließlich gab er improvisierend nach. Der Abend endete mit ungeteiltem Beifall aller Besucher. Die einen freuten sich übers Happy End, die anderen über die überraschende Schlussvariante, die sie so nie wieder erleben würden.
Alle fühlten sich gut unterhalten.
Nichts aber scheint schwerer machbar als die hohe Kunst der Unterhaltung. Nichts schwerer zu produzieren als lässig leichtfüßig daherkommende Heiterkeit. Also muss es von Fall zu Fall mit List und Tücke versucht werden. Weil zum Beispiel Pocher nicht nur ein manchmal unerträglicher Angeber ist, sondern auch ein gewitzter Puck sein kann und
kein einfältiger Punk, spielte er lange bei Harald Schmidt den Proll Oliver und anschließend mit den Kritikern, die sein Spiel ernst genommen hatten. Die hätten einfach ein Problem damit gehabt, aber dies sei deren Problem, und nicht seins, dass einer wie er, eine »Ausgeburt des Privatfernsehens«, mit einem Intellektuellen wie Harald Schmidt eine Sendung in der seriösen ARD gemacht habe. Am Ende der Zweisamkeit kehrte er allerdings dann doch wieder dahin zurück, wo er geboren war. Zwar wollte ihn das Erste unbedingt verpflichten – es nagte der zuständige Koordinator Thomas Schreiber ständig an ihm -, doch die anderen hatten inhaltlich die stärkeren Argumente: Sie boten Pocher mehr Geld.
Vieles in den öffentlich-rechtlichen Programmen, Fernsehen wie Rundfunk, ist nach wie vor besser als vieles, was die anderen auf dem Markt anbieten. Das gilt für Magazine und Dokumentationen, in denen es um Politik geht, um Wirtschaft, um Kultur. Das betrifft alle unterschiedlich guten, aber nur selten unter null angesiedelten Talkshows im Ersten, im Zweiten und bis auf das im Seichtgebiet seiner regionalen Zielgruppe dümpelnde Riverboat auch alle im Dritten.
Auf dem weiten Feld der Unterhaltung blüht bei ARD und ZDF allerdings nicht so viel. Uwe Kammann, Direktor des renommierten Grimme-Instituts, das jährlich Preise für die angeblich Besten vergibt, kritisierte bei der Verleihung 2009, wo die RTL/ORF-Serie Doctor’s Diary in der Kategorie Unterhaltung ausgezeichnet wurde und auf die Öffentlich-Rechtlichen nur ein Spezialpreis für die Kunstfigur Johannes Schlüter innerhalb der NDR-Reihe Extra Drei fiel, den bei beiden Sendern in der Unterhaltung nach wie vor herrschenden »Mangel an Innovation und kreativem Witz«.
Das liegt am System. TV-Total -Unterhalter Stefan Raab,
der für ProSieben aktiv ist: »Beim WDR kann keiner was entscheiden, bevor nicht der Ältestenrat zusammengetreten ist.« Und Oliver Pocher, der sich auch deshalb für Sat.1 entschied, weil es da jemand wie ihn geben müsse, der mal sagt, dass viele Sendungen wie Explosiv und taff und SAM »der letzte Schrott« seien,
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