Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
mitmischen, dann würde Esprit mindestens so viel gelten wie Entblößung, dann würde es so etwas wie Switch (ProSieben), wo auf heitere Art Entblödung betrieben wird, zur Prime Time gesendet und nicht erst nach 22 Uhr.
Bei dem ausgedachten Themenabend auf Arte oder 3sat, in der Live-Übertragung auf einem der beiden Sender für gebildete Stände, dürfte es keine der üblichen Jurys geben, die mit ihrem Votum Volkes Stimmungen vertreten und den Daumen senken oder heben. Es ginge an diesem Abend sauber frühdemokratisch zu. TED-Mehrheiten allein entscheiden, nicht irgendwelche Juroren, in ihrer Vergangenheit mitunter bekannt aus Funk, Film und Fernsehen, in der Gegenwart aber schon lange nicht mehr nur aus Zufall frei.
Keiner von denen wird ohne fremde Hilfe verstehen können, was die coolen Erfinder des Blödfernsehens, gebildete amerikanische Zyniker, als Maßstab heute ihren Scouts mit auf den Weg geben, wenn geeignetes Menschenmaterial für die unsäglichen Formate gesucht wird, für ein Aquarium, aus dem die Gefischten nicht werden entkommen können. »Between the legs: heaven. Between the ears: zero«, frei übersetzt etwa, dass man für die Best-of-Shows Kerle und Bräute brauche, die jederzeit ihren Mann stehen oder denselben überstehen können, aber blöd genug sein sollten, dass sie nicht merken, wie sie manipuliert und für johlende Massen vorgeführt werden.
Na und, ist das denn so schlimm? Erwachsene sollen sehen, was sie wollen, dürfen lachen, worüber sie wollen, und falls das unterhalb der Gürtellinie stattfindet, sie dabei aber glücklich glucksen, weil sie dumm bleiben können und weil sie nicht überfordert werden durch Moderatoren, die ebenfalls
vergessen wurden, als Gott Talent und Verstand verteilte … na und.
Nebbich.
Kritiker des Zweitgeistes verhöhnen voll intellektueller Wonnen die Exhibitionisten und Voyeure und Scherzunholde auf den Kanälen, die sie angeblich nie einschalten, erreichen aber mit ihrer Häme deren Zielgruppe nie. Insofern könnten sie es lassen, stattdessen lieber den Erstling eines unbekannten Autors lesen, und falls der ein guter ist, eine wirklich gute Tat tun und darüber schreiben.
Die Denkanstöße der zur Beobachtung der Seichtgebiete staatlich berufenen Medienwächter, Beratungspapier genannt, versickern im Ungefähren. Direktoren der Landesmedienanstalten forderten im Frühjahr 2009 eine »Selbstverpflichtung zur Einhaltung moralisch-ethischer Regeln bei Dokusoaps und Castingshows«, was sie so begründeten: »Auch wenn viele Inhalte keine konkreten Rechtsverletzungen darstellen, werden doch Toleranzgrenzen von einzelnen Zuschauern und Zuschauergruppen strapaziert und Gefühle verletzt.Wenn weiterhin die Grenzen der Rundfunkfreiheit bis zum Letzten ausgereizt werden, drohen die Programme massiv an Glaubwürdigkeit zu verlieren und tragen zu einem Verlust gesamtgesellschaftlicher Werte bei.« Anstößiges und Provokantes, Sensationelles oder Monströses erhielten so einen unangemessenen Rang, und zudem würden die Schwächen von medienunerfahrenen Laien zum Zwecke der Unterhaltung »ausgestellt und ausgenützt«.
Die real versendete Lage ist zwar präzise beschrieben, aber da sie keine bestimmten Sendungen auflisteten, fühlte sich von den gemeinten Blödmachern auch keiner angesprochen. Die Hölle sind ja immer die anderen, auch in diesem Fall. Und mit Moral und Ethik haben sie es nicht so oft bei ihrer Arbeit zu tun, sondern eher täglich mit Quoten.
Also lachten sie sich mal wieder ins Fäustchen und machten sich an die Produktion einer weiteren unsäglichen Reality-Show unter dem Titel »Erwachsen auf Probe«, bei der unschuldige Babys von ihren verantwortungslosen Eltern an andere, noch kinderlose Paare ausgeliehen werden, auf dass die was fürs Leben lernen.
Das Lachen ist im Zuge der Evolution entstanden als Nebenprodukt des Sprechens. Weil das so ist, können auch Affen lachen, und falls man Ratten kitzelt, grinsen die für Momente ähnlich wie bestimmte Moderatoren dauernd. Miteinander zu lachen bringt Volk in Stimmung, das Miteinander entsteht sogar virtuell und springt direkt aus dem Fernsehapparat auf die über, die einsam in Kämmerchen sitzen unterm Dach im Plattenbau Ost oder dem Reihenhaus West. Eigentlich haben sie kaum was zu lachen angesichts trister Wirklichkeit draußen, aber lachend fühlen die sich als Teil der ihnen vorgeführten Masse. Das verbindet.
Einen Volltreffer bei den Blödmachern und Blöden, von denen viele im
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