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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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Sinnfragen des Lebens hilft bei der Suche nach Sinn auch in dem Fall einer von Deutschlands Besten, nämlich Goethe. »Durch nichts bezeichnen die Menschen mehr ihren Charakter als durch das, was sie lächerlich finden«, ist als Merksatz des Überlebensgroßen ganz okay, aber eben nur bedingt einsetzbar, weil zu viele aus der zusehenden Unterschicht, die schließlich erreicht werden soll, damit hoffnungslos überfordert wären. »Faust« im Kopf, leicht variiert – gleich sehe man des Volkes Getümmel, wo zufrieden jauchzet Groß und Klein, hier sei man Mensch und dürfe es sein usw. -, passt ebenfalls nicht. Diese doppeldeutigen Anspielungen versteht von den Fremdbestimmten bestimmt niemand. Sie kennen die Faust aufs Auge oder die geballte eigene in der Tasche.
    Die etablierten Blödmacher haben es einfacher, zugegeben. Denen reicht ein simplerer Anspruch, der die Bedürfnisse ihrer Gemeinde voll total trifft, etwa der: Ich bin ein Depp, lasst mich hier rein! Dass jederzeit als Vollidiot wieder rausfliegen kann, wer als normaler Idiot irgendwo reinwill und damit zur allgemeinen Belustigung beiträgt, dass sich öffentlich knechten lassen muss, wer unbedingt König werden will, ist den Willigen zwar nicht fremd, aber egal.
    Egal, ob es ein Container ist, in dem sich jugendliches Prekariat wohlfühlt, weil da alles so aussieht und nach ein paar
Tagen so riecht wie zu Hause jeden Tag. Egal, ob alleinerziehende Mütter mit ihren verschiedenen Kindern von verschiedenen abwesenden Vätern gemeinsam mit den Scouts von RTL nach einem neuen Ernährer suchen. Egal, ob ein echter Gerichtsvollzieher klingelt, klopft, kassiert, was der Sat.1-Klientel bekannt vorkommen dürfte aus ihrem häuslichen Alltag. Egal, ob man auswandern, rückwandern, ausreißen oder nur mitten im Leben stehen muss, sich für eine Woche bei einer fremden Familie einquartieren lässt oder den Traum vom eigenen Restaurant beerdigt: Geht nicht gibt’s hier nicht. Bei solchen Sendeformaten geht – ungeniert kommt nach dem Fall – alles. Unter die Haut. Unter die Gürtellinie. Unter aller Sau. Wer mitmacht, muss nur irgendwas können, und sei es auch Pfeifen im Wald, muss nicht zu Besonderem, aber zu allem fähig sein.
    Unvergessen die Jubiläumssendungen des privaten Marktführers RTL zum 25-jährigen Bestehen seines Seichtgebietes. Nicht die Gäste auf dem Sofa schreckten ab, obwohl da an zwei Abenden viele Horrorfiguren aus versendeten Lemurenkabinetten saßen. Nicht die Schwenks aufs verzückt klatschende Publikum, wo die Ahnung zur schrecklichen Gewissheit wurde, dass im Saal zusammensitzt, was zusammengehört. Am dämlichsten wirkte Oliver Geissen, der so aussieht und spricht, als könne er kein Wässerchen trüben und damit geschickt alle täuscht. Er kann tatsächlich keines trüben.
    Wie könnte beim Themenabend Superstar für Arte und 3sat ausgeschlossen werden, die beiden Sender beim Zappen trotz der sichtbaren Auftritte von Sumpfblütlern und Paradiesvögeln mit RTL oder ProSieben oder VOX oder Sat.I zu verwechseln?
    Eingängig müsste der Titel der Show sein, doch gleichzeitig nicht allzu banal.Verbale Verballhornungen der Gebildeten
wie »Arten-Miss-Wahl« oder »Dreist auf Sat« versteht außer denen kein normaler Mensch, werden bereits bei der Planung abgeschmettert. »Was ihr wollt« dagegen wäre ein passender Titel, weil sich die einen, die immer wissen, was sie zuvorderst wollen, angesprochen fühlen und die anderen sich mit Verweis auf Shakespeare vorab Absolutionen erteilen dürfen, weil sie sich freiwillig auf Banales wie eine Superstar-Show einlassen.
    Shakespeare übrigens lieferte vor fünfhundert Jahren bereits den Beweis dafür, dass sich Qualität und Quote, falls beide gleich ernst genommen werden, bestens heiter miteinander verbinden lassen. Die Aufführungen seiner Komödien im Londoner Globe Theatre wurden von allen Schichten bejubelt, weil die Spiele um Liebe und Lüge, Intrigen und Irrungen im Wortsinne volkstümlich waren, das niedere wie das höhere unverbildete Volk die Sprache verstand und am Ende entweder die Guten siegten oder aber die Bösen, falls sie es sein mussten, die gewannen, von der Macht des Schicksals oder den eigenen inneren Dämonen bestraft wurden. Richtig los ging es übrigens erst im zweiten Akt. Die per Kutsche oder hoch zu Ross anreitende Oberschicht wollte sich nicht mit den zum Theater strömenden Unterschichtlern gemein machen und traf deshalb erst dann ein, wenn das Volk seine Stehplätze

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