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Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
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alle anderen Selbstdarsteller aus den betreffenden versendeten Formaten bekämen nur eine Aufwandsentschädigung.
    Dafür würden die nicht kommen?
    Würden sie doch.Wetten dass?
    Denn sobald etwas live im Fernsehen zur besten Sendezeit übertragen wird, sind alle dabei. Moderatorinnen oder Moderatoren, deren IQ dem ihrer Kandidaten ähnelt, mal zwei Punkte drüber, mal drei darunter, gibt es in allen Anstalten. Trotz ihrer natürlichen Unterschiede wie gefühlte Oberweite, gefönte Frisur, getürktes Alter haben sie und ihre Zielgruppen ein gemeinsames Ziel – nämlich aufzutreten, egal wo, egal wie, egal warum, egal mit wem. Ernst zu nehmende Politiker gehen zwar nicht in eine Freak Total Show, außer Heide Simonis und Norbert Blüm, aber die zählen nicht mehr wirklich, weil ihr Verfallsdatum bereits überschritten ist und ihre Anwesenheit keine Einschaltquoten bringt, sondern diese eher senkt.
    Eine Dokusoap mit dem Leergut der Nation, ob nun weiblich oder männlich, mit Menschen, die weder kochen können noch ihre Kinder bändigen, die nicht wissen, wie sie ihre Wohnungen einrichten sollen, von Sat.1-Richtern belehrt werden müssen, ob sie ihren Nachbarn ungestraft an den Zaun pinkeln dürfen, die weder singen können noch Deutsch sprechen, die aussehen wie Töchter und Söhne des Glöckners von Notre-Dame, die sich mit anderen tätowierten Prolos bei Big Brother einschließen lassen, wäre ein Quotenrenner.
    Nein, es wäre der Quotenrenner.
    Dass es so ist, wissen viele Politiker. Aber sie hüten sich, es laut auszusprechen. Denn es könnte durchaus sein, dass sich plötzlich aus unerfindlichen Gründen, vielleicht deshalb, weil Mario Barth oder Heidi Klum oder Dieter Bohlen sie dazu auffordern, doch ganze Gruppen der Unterschicht entschließen, von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen – in der Wahlkabine zählt jede Stimme – und einen der Ihren zu wählen. Also sind auch Blöde, egal wie blöde, immer auch potenzielle Wähler. Und mit denen wollen es sich Parteien nicht verderben. Es zählen nur ihre ausgefüllten Stimmzettel, niemand fragt anschließend nach der Höhe oder Tiefe ihres Intelligenzquotienten.
    So wie kein Produzent von sogenannten Büchern wie denen von Bruce Darnell oder Dieter Bohlen oder Bushido oder Bärbel Schäfer fragt, was da wohl drinstehen mag oder in welcher dem Deutschen ähnlichen Sprache die geschrieben sein könnten, sondern seiner Marketingabteilung vertraut, die ihm garantiert hat, dass Hunderttausende das Ding nur wegen der ihnen vertrauten Namen kaufen würden und es deshalb unwesentlich sei, worüber die sich darin wie verbreiten.
    Die Unterschicht hat ja auch die Politik beeinflusst.Wäre
es nicht so, müsste man sich sogar Gedanken machen, ob irgendwas faul ist im Staat. Denn was sindVolksvertreter anderes als eben Vertreter des Volkes, nicht besser, nicht schlechter, nicht klüger, nicht dümmer? Nicht dümmer, okay.Aber warum dürfen sie nicht klüger sein? Dürfen sie doch gern. Falls sie sich nicht nur Zeit nehmen für Empfänge und Volksreden und Intrigen und Ausschüsse oder zum Regieren, wofür sie so schlecht ja nicht bezahlt werden im Vergleich zu dem, was ihre Wähler verdienen, sondern auch für das, was die Welt, also auch die ihre, im Innersten zusammenhält: Bücher, Filme, Musik, Kunst, Theater.
    Damit könnten selbst die Ungebildeten den anderen Ungebildeten, die sie ins Parlament gewählt haben, ein Beispiel geben. Man ist nicht blöd geboren, es ist nie alles vorbei, wenn es mit einem Schulabschluss dumm gelaufen ist, es geht immer noch was. Man muss es nur wollen. Deutsches Sprichwort sagt ja, jeder sei seines Glückes Schmied.
    Joschka Fischer hat das bewiesen. Keinen seiner geschätzten Kollegen, sagt der ehemalige Kulturstaatsminister und heutige »Zeit«-Herausgeber Michael Naumann, nicht mal den klavierspielenden klassischen Vertreter des deutschen Bürgertums, Otto Schily, habe er Bücher so gierig in sich reinschlingen sehen wie den Autodidakten Joschka Fischer. Keineswegs nur politische Brocken, nach deren Lektüre der grüne Außenminister als Wissender bei internationalen Auftritten habe glänzen können. Joschka sei ein Leser aus Leidenschaft. Er liebt gute Geschichten so bedingungslos, wie er Frauen liebt. In Elke Heidenreichs Sendung Lesen behauptete Fischer einst, dass er Carlos Ruiz Zafóns »Schatten des Windes« in einer einzigen leidenschaftlichen Nacht durchgelesen habe. Seinem Beispiel folgten nach der Ausstrahlung

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