Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
»Süße, willst du
nicht in meine Show?«, bricht ab, als alle laut zu lachen beginnen, wird rot, blickt hoch und bemerkt, dass Heidi Klum ihr freundlich zunickt. Streng erteilt sie ihr einen Verweis: »Unterlassen Sie das. Wenn so etwas noch einmal passiert, wird die Öffentlichkeit« – und zeigt auf die TV-Teams »bis auf Weiteres ausgeschlossen.«
Katarina Witt zischt: »Blöde Kuh«, meint aber nicht die ihr aus dem nahen Osten vertraute Abgeordnete der Linken, sondern Heidi Klum. Die wiederum hat sehr wohl verstanden, dass dies ihr galt, und lächelt freundlich. Dann schreibt sie etwas auf einen Zettel und reicht ihn der ehemaligen Eiskunstläuferin, die unter dem Titel Biggest Loser eine Diätshow auf ProSieben moderiert hat.Witt liest.Wird bleich unter der Schminke, zerknüllt den Wisch, lässt ihn fallen. Pocher hebt ihn auf, faltet ihn auseinander, grinst dreckig, zeigt ihn Frauke Ludowig. Die gibt laut vernehmliche Hähähä-Laute von sich, denn auf jenem Zettel steht: »Zonentussi, deine Titten hängen. Du solltest sie abnehmen!«, hält sich sofort aber entschuldigend die Hand vor den Mund, als sie ein böser Blick des die FDP vertretenden Abgeordneten Dirk Niebel trifft.
Ruhe im Saal. Die Herren von Phoenix, graubärtig, kordhosig pferdeschwänzig, halten ihre Kameras entweder auf Frau Schavan, für die ihre Referentin inzwischen einen Hocker besorgt hat, oder auf von der Leyen oder auf Neumann, weil sie die Einzigen sind, die von der Kernzielgruppe des Senders erkannt werden dürften, wagen aber ab und zu einen Schwenk auf die Stars des deutschen Unterhaltungsfernsehens.
Petra Pau fährt mit ihrer Aufzählung fort: »Frau Minister von der Leyen? Danke. Frau Minister Schavan?« Annette Schavan erhebt sich stöhnend vom Hocker und nickt. »Danke. Börsenverein des Deutschen Buchhandels? Danke.
Lehrergewerkschaft? Danke.Vereinigter deutscher Elternrat? Danke. Die Autoren Roche, Bushido und Darnell? Danke. Die Damen und Herren von ARD, ZDF, Sat.1, ProSieben, RTL,VOX, Kabel eins?« Nacheinander stehen Anke Schäferkordt und ein paar ältere Herren auf, alle im dunklen Anzug und mit Krawatte, deren Namen keinem spontan einfallen. »Herr Doktor Günter Struve? Danke.«
Auf das einsetzende Gemurmel und die Blicke in Richtung des einst mächtigen Fernsehmanagers, gepriesen und verdammt als Obergärtner des unter seiner Regie erblühten Seichtgebietes Show und Unterhaltung im Ersten, achtet sie nicht weiter. Sie weiß nicht wer dieser Struve ist. Die anderen sehr wohl. Eigentlich sollte der Ex-Pate der ARD in Los Angeles seine Pension verzehren, war aber von seinen Amigos beim MDR als Talkmaster verpflichtet worden, was er gerne annahm. Selbst ein Mann seines Alters vermag dort, in den verblühten Landschaften des Ostens, noch ein gar griffiges verborgenes Schätzchen zu finden.
Joachim Huber, Reporter des Berliner »Tagesspiegel«, notiert, was er in seinen Bericht über die Qualität des deutschen Fernsehens schreiben wird: »Der Mitteldeutsche Rundfunk ist personell so ausgelaugt, dass für die Talkshow Riverboat alle zwei Wochen ein 69-jähriger Ex-ARD-Programmdirektor aus Los Angeles nach Leipzig eingeflogen werden muss. Das Moderatoren-Trio kommt samt und sonders aus dem Westen.«
Neumann schüttelt hektisch seine Glocke, bis wieder Ruhe im Saal herrscht, zieht dann das Mikrofon näher zu sich heran und verkündet: »Wir beginnen jetzt mit der Befragung des ersten Gutachters. Ich rufe auf...«
Ausgerechnet jetzt erstirbt der Ton. Die Türen zum Sitzungssaal gehen auf. Ein Mann tritt ein, klatscht zweimal in die Hände, winkt hinauf zum Studio, wo hinter einer Glasscheibe
Menschen mit Kopfhörern sitzen, blickt auf seine Armbanduhr und sagt: »War schon sehr gut. Zehn Minuten Pause für alle. Und dann zeichnen wir auf.«
Hier endete der Traum.
Hier endet deshalb auch das Protokoll der Probanden.
Ab jetzt übernimmt wieder die Realität.
Dieses traumhafte Szenario wäre in Wirklichkeit schon im Vorfeld gescheitert, weil die Verwaltung des Bundestags für ein derartiges Spektakel keine Räume zur Verfügung gestellt hätte. Die Würde des Hohen Hauses in Berlin erlaubt keine unpolitischen Showdowns. Szenen wie die beschriebenen ließen sich nur nachstellen und ein Saal in einem Atelier originalgetreu nachbauen. Statt auf Reality TV würde dann auf Dokusoap gesetzt, was eh billiger ist. Nur für die Politiker, die im Untersuchungsausschuss auftreten, müssten Schauspieler verpflichtet werden,
Weitere Kostenlose Bücher