Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)
Gesellschaft am vorherigen Sonntagabend einen Zusammenschnitt angeschaut, von ihren Referenten für sie aus allen zur Debatte stehenden Formaten erstellt, und am Morgen zusätzlich beim Frühstück seitenweise Kopien bestimmter Stellen aus bestimmten Büchern gelesen. Manche Männer sollen bei der Lektüre rot geworden sein, aber das ist nur ein Gerücht.
Aus einem in der Decke verborgenen Lautsprecher ertönt eine Stimme: »Pardon, Herr Minister, können wir bitte das Ganze noch einmal haben, wir hatten eine kleine technische Störung. Danke.« Neumann nickt ergeben und schenkt sich zunächst mal eine Tasse Kaffee ein. Diese Chance, zu Wort zu kommen, lässt sich der grau melierte Moderator von Phoenix nicht entgehen. Er kann loswerden, was er sich in nächtelanger Arbeit notiert hat, und unter Beweis stellen, dass er für höhere Aufgaben bei Arte geeignet ist:
»Bevor der Minister noch einmal beginnt, möchte ich etwas zum Hintergrund dieser heutigen Sitzung sagen. Dumm sein und Arbeit zu haben, galt ja, wie Sie und ich wissen, seit Gottfried Benns Gedicht als das wahre Glück.Viele aber haben heutzutage keine Arbeit [wobei er drei, vier Sekunden lang betroffen blickt, bevor er fortfährt] und kein Glück, aber viel Zeit. Die totzuschlagen ist die Strategie vieler Sender. Begonnen hat das alles vor mehr als einem Jahrzehnt mit einer simplen Idee [jetzt blickt er abschätzig von oben herab]. Man filme einen Container voll mit Idioten, die hundert Tage lang Vollidioten draußen im Lande vorgeführt werden. Das war die Geburtsstunde von Big Brother . Sie werden sich erinnern an einen der Gäste damals, den heutigen FDP-Chef Guido Westerwelle [dabei blickt er angewidert, aber
tut dies wegen des Rundfunkrates, in dem auch ein Vertreter der FDP sitzt, nur für einen kurzen Moment]. Halbdeppen wurden über Nacht zu Halbgöttern, unbekannte strohdumme Blondinen zu bekannten strohdummen Blondinen.«
Weiter kommt er nicht. Ein Redakteur im Studio, das sich am anderen Ende des Saales hinter einer Glasscheibe befindet, dreht ihm den Saft ab, denn jetzt ist wieder Neumann dran. Er klopft auf das Mikrofon, das vor ihm auf dem Tisch installiert ist. »Zunächst werde ich die Tagesordnung bekanntgeben und dabei feststellen, ob die geladenen Zeugen und Gutachter auch alle im Saal sind, wobei mir jeweils ein einfaches Handzeichen genügt.«
Er hat ganz bewusst »einfaches Handzeichen« gesagt, denn aus seiner Erfahrung bei den Verleihungen der Deutschen Filmpreise weiß er, dass Medienmenschen dazu neigen, auch ungefragt das Wort zu ergreifen, und es nur ungern wieder freigeben. »Wie gesagt«, betont er deshalb noch einmal, »Handzeichen genügt.« Dann zieht er einen Zettel aus der vor ihm liegenden Klarsichthülle, von dem er abliest und nach jeder Frage prüfend in den Raum blickt. » Bauer sucht Frau ? Danke. Adel sucht Braut ? Danke. Frauentausch ? Danke. Mister Perfect ? Danke. Ich kann Kanzler ? Zwei bei Kallwass ? Britt ? Danke. Papa gesucht ? Danke.«
In diesem Augenblick gibt es in der Nähe der Saaltür einen Tumult. Zwei Diener halten eine junge Frau fest, die offenbar nur darauf gewartet hat, wer sich beim Stichwort Papa gesucht melden würde, und hindern sie daran, einer anderen Frau, bei der es sich um Barbara Eligmann handeln könnte, das Mikrofon aus dem Dekolleté zu ziehen. Bevor die Männer sie rausschaffen können, brüllt Oliver Pocher: »Nehmen Sie Ihre Hände von der Frau, und lassen Sie die in Ruhe sagen, was sie zu sagen hat, wir sind hier schließlich nicht in Nordkorea oder beim ZDF-Verwaltungsrat.«
Die Frau lächelt ihm dankbar zu, wischt die Saaldiener achtlos zur Seite, nimmt die dunkle Perücke und die Sonnenbrille ab und genießt das aufkommende Geraune im Saal. Anke Engelke hatte schon immer ein gutes Gespür für gute Auftritte im richtigen Augenblick. Dann holt sie, nunmehr unbehelligt, das Mikrofon aus dem tiefen Ausschnitt von Barbara Eligmann, geht ein paar Schritte hin zu dem Mann, der sich per Handzeichen gemeldet hat, als Neumann nach den Verantwortlichen für Papa gesucht fragte, stellt sich ihm gegenüber, blickt ihm in die Augen, haut ihm mit der Linken eine runter, hebt die rechte Hand, schüttelt dann aber den Kopf, lässt die Hand sinken, dreht sich um und wendet sich direkt an alle Anwesenden im Saal:
»Freunde. Feinde. Mitbürger. Hört mich an. Papa gesucht ist nicht nur ein Magazin für bereits völlig Verblödete, produziert von Ihrem Sender, Frau Schäferkordt –
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