Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition)

Titel: Seichtgebiete: Warum wir hemmungslos verblöden (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Jürgs
Vom Netzwerk:
schauen Sie nicht so, als wüssten Sie nicht, wovon ich rede! -, es ist auch derzeit das menschenverachtendste Fernsehformat auf allen Kanälen, man könnte sagen, eine richtige Kanalratte, jedenfalls ein schlimmes Beispiel für den heute zur Debatte anstehenden Vorwurf der Massenverblödung. Es ist perfide, diese armen Schweine, die schon im Alltag in die Tonne getreten werden, trotz ihrer offensichtlich grauenerregenden Eigenschaften zum Mitmachen zu überreden und sie zu animieren, die Scheiße, die sie von sich geben, auch noch selbst zu fressen. Wobei ich eher glaube, dass ihnen die Sätze von sogenannten Drehbuchschreibern in den Mund gelegt wurden. Sagen Sie mir jetzt nicht, die hätten alle freiwillig mitgemacht. Weiß ich. Bin ja nicht blöde. Mach mir ja nichts vor. Es gibt aber auch so was wie eine moralische Pflicht von Produzenten. Die romantische Carmen und die schüchterne Dolores oder Erwin, der verklemmte Buchbinder, sind nicht nur arm an Geist, sondern auch geistig arme Menschen,
die sich zwar noch nicht kennen – wobei ich zugebe: Ich möchte die auch nicht kennen -, vor laufender Kamera aber heiter bekennen, beim gemeinsamen aufgeregten Pupsen im Thermalbad sei man sich doch nähergekommen.Vor solchen Menschen müssen nicht nur alle geschützt werden, sondern jene auch vor sich selbst. Danke.«
    Dann geht sie wieder zu ihrem Platz, stößt die Perücke achtlos unter den Stuhl, gibt Barbara Eligmann das Mikrofon zurück und setzt sich. Zunächst herrscht nur betretenes Schweigen, doch als sich der Produzent von Papa gesucht erhebt, um zu antworten, beginnen Frau Schavan und Frau von der Leyen zu klatschen, dann folgen Pocher, dann Pilawa, dann Feldbusch, dann Klum, dann Witt, dann sogar Bohlen und Barth, und plötzlich klatschen ihn alle nieder und alle Anke Engelke zu. Im Lärm geht unter, was Frau Schäferkordt ihrer Sekretärin zugezischt hat: »Sendung absetzen, sofort. Den Kerl rausschmeißen. Auch sofort. Sendeplatz Anke Engelke anbieten. Sofort. Womit auch immer. Blind Dates auf ihre Art.«
    Bernd Neumann bedankt sich bei Anke Engelke für ihren, wie er sich ausdrückt, aufschlussreichen Beitrag, hebt beide Hände und bittet erneut um Ruhe, man müsse trotz dieses interessanten Zwischenspiels mit der eigentlichen Befragung vorankommen. Also. » Deutschland sucht den Superstar ? Herr Bohlen, bitte, würden Sie bitte die Hand heben? Herr Bohlen! Herr Booohlen !«
    Das letzte Bohlen brüllt er fast. Der von ihm gemeinte Dieter unterbricht für einen Moment das Gespräch mit einer seiner neben ihm sitzenden Ex-Gattinnen, die ihn um drei Millionen Euro zur Überbrückung finanzieller Engpässe ihres derzeitigen Gatten gebeten hatte, und nickt Neumann ungnädig zu: »Mann, sehen Sie doch, oder? Kennen Sie mich etwa nicht?«
    Neumann verzieht angewidert die Mundwinkel und fährt fort. » Zuhause im Glück ? Danke. Der Schuldendoktor ? Danke. Katharina Saalfrank? Danke. Dschungelcamp ? Danke. Voll total ? Hund sucht Hütte ? Danke. Germany’s next Topmodel ? Danke. Mitten im Leben ? Danke. Echt gerecht ? Danke. Uri Geller?«
    Keine Reaktion im Saal.
    »Uri Geller?«
    Jörg Pilawa steht auf und meint, über den folgenden eigenen Witz schon mal lachend: »Hat sich wahrscheinlich weggezaubert, Herr Vorsitzender.«
    Niemand lacht.
    Pilawa setzt sich beleidigt wieder hin.
    Neumann flüstert leise, aber so, dass es über das eingeschaltete Mikrofon alle hören: »Ich halt’ diese Idioten nicht aus, ich will hier raus«, und bittet die Vertreterin der Partei Die Linke , Petra Pau, ihn für ein paar Minuten abzulösen und seinen Part zu übernehmen. Dabei fällt ihm ein, dass die Mehrheit der Anwesenden im Saal nicht die geringste Ahnung haben dürfte, wie und warum ein Untersuchungsausschuss installiert wird und wer in dem überhaupt mitmachen darf. Deshalb erklärt er erst mal die Bestimmungen. Außer ihm und den Protokollführern seien von jeder im Bundestag vertretenen Partei entsprechend der Stärke ihrer Fraktion Abgeordnete in den Ausschuss delegiert worden. Die Beweisführung habe grundsätzlich öffentlich zu erfolgen. Es sei denn, fügt er hinterhältig lächelnd hinzu, die anwesenden Damen und Herren wünschten Ausschluss der Öffentlichkeit.
    Dabei blickt er sich fragend um.
    Das ist das Letzte, was die sich wünschen, und wie erwartet gibt es keine Einwände gegen eine Live-Übertragung.
    Die burschikose Abgeordnete der Linken nimmt achtlos einen vor ihr liegenden Zettel und liest vor:

Weitere Kostenlose Bücher