Seidendrachen
glänzenden Stoff. Landschaften waren darauf zu sehen, merkwürdige, schlangenähnliche Drachen und pagodenförmige Tempel. Das Ganze war in einem unglaublichen Feuerwerk aus Farben gestaltet. Rot und Gold versanken in leuchtendem Blau und intensivem Grün.
„Wunderschön und eine Kostbarkeit“, stellte Simon zufrieden fest. Vater Clement strich mit seiner großen Männerhand über das feine, weiche Gewebe. „Unglaublich. Das hat dieser Junge gemacht?“
Simon nickte voller Stolz. „Er hat es gemalt, auf feinster chinesischer Seide. Über viele Wochen dauert die Fertigung eines einzigen Kleidungsstückes. Es ist ein Vermögen wert, nicht nur in China. Vergesst alles, was wir hier in Europa anfertigen!“
Der Klostervorsteher überlegte eine Weile, ging in dem bescheiden eingerichteten Raum auf und ab wie ein Gefangener im Kerker. Dabei warf er immer wieder einen Blick auf das seltene Gewand, das über dem Tisch in der Mitte des Zimmers ausgebreitet lag. Ansonsten blieb es still. So still, das Jarin draußen vor der Türe seinen eigenen Atem hören konnte.
„Ihr sagt, Ihr habt das Rohmaterial mitgebracht?“, fragte Clement dann nach.
Simon nickte. „Ja, doch es wird nicht für viele Gewänder reichen. Ich kenne einen Händler in China, der uns Nachschub liefern kann. Doch die Seide kostet ein Vermögen. Anders darf sie aber das Land nicht verlassen! Eine Ausfuhr der Raupen, die diese herstellen, ist bei Todesstrafe verboten. Obwohl bereits im Jahre 552 Mönche diese aus China herausgeschmuggelt haben. Aber niemand außer den Chinesen selbst kann diese feinen Gewebe und Farben herstellen, bis heute! Selbst wenn wir den Transport nicht über die offiziellen Handelswege abwickeln, wird er mehrere Monate bis zu uns brauchen.“
Der Abt rieb sich die Hände. Ob aus Habgier oder vor Kälte war nicht ganz eindeutig. „Nun gut, bringt dieses Gewand als Beweis zum König von Frankreich und bietet ihm die exklusive Fertigung dieser Kostbarkeiten durch Akio an. Und verlangt einen Vorschuss für die Beschaffung der Rohseide!“
Das Gespräch wurde noch weiter geführt, doch Jarin hatte genug gehört. Wenn er länger hier verweilte, könnte einer der Brüder ihn beim Lauschen ertappen. Also entfernte er sich leise. Irgendwie empfand er plötzlich Mitleid für den zierlichen Ausländer. Der Junge war aus einem Arbeitslager in China befreit worden, nur um hier das gleiche für einen europäischen König zu tun? War das Gerechtigkeit? War das christlich? Dachten auch die Geistlichen immer nur an den schnöden Mammon, den sie in ihren Predigten so verachteten? Sein ganzes Weltbild geriet in einem Tag und einer Nacht durcheinander.
*
„Möchtest Du nicht mit mir nach Paris reisen? Ich muss in einer geschäftlichen Angelegenheit an den Hof und würde mich sehr über deine Begleitung freuen.“
Wie verlogen dieser Satz doch heute Morgen in Jarins Ohren klang. Pater Simon hatte ihm diese Frage nach dem Frühstück gestellt.
„Außerdem würde dir die Entscheidung über deine Zukunft vor Ort bestimmt leichter fallen.“
Was sollte er nun darauf antworten? Es reizte ihn natürlich, die Eintönigkeit des Klosters für eine Weile zu verlassen. Das Angebot war wirklich verlockend! Andererseits war da plötzlich Akio. Er hatte ihm heute Morgen an der Tafel wieder gegen übergesessen und Jarin so merkwürdig angeschaut. Und Jarin war diesen schönen grünen Augen immer wieder ausgewichen.
Natürlich würden seine Mitbrüder sich gut um den Neuankömmling kümmern. Sie brauchten ihn. Aber Akio brauchte auch jemanden – einen Vertrauten in seinem Alter. Aber warum hatte Jarin dann den Blickkontakt vermieden und war dem exotischen Jungen aus dem Weg gegangen? Er konnte sich selbst nicht verstehen. Vielleicht war es gut, auf eine längere Reise zu gehen. Zu Pferd oder mit dem Karren würden sie mehrere Wochen hin und zurück brauchen. Unterwegs würden sie auf die Gnade der Bauern angewiesen sein, was Unterkunft und Verpflegung betraf. Gasthöfe konnten sie sich nicht leisten. „Nun?“ Pater Simon erwartete eine Antwort. Seine grauen Augen musterten den vor ihm stehenden blonden Jüngling. Eigentlich hatte er mehr Begeisterung von diesem erwartet bei einem solchen Angebot. Akio kam in diesem Augenblick an den beiden vorbei. Er trug einen Stapel Holzschüsseln zum Abspülen in die Küche. Und wieder traf Jarin im Vorübergehen ein Blick dieser Smaragdaugen. Ob Akio ihre Unterhaltung beim Abräumen der Tafel mit
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