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Seidendrachen

Seidendrachen

Titel: Seidendrachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Grayson
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mit hohen Wangenknochen, an denen feuchte, schwarze Haarsträhnen klebten. Ein dunkler Wimpernkranz, der sich jetzt langsam hob. Grüne, mandelförmige Augen blickten ihn erschrocken an wie ein ängstliches Kätzchen. Der Junge mochte kaum älter sein als er. Oder war es doch ein Mädchen? Seine Haut war so merkwürdig zart. Jarin verspürte eine seltsame Verwirrung, die jedoch niemandem auffiel, so beschäftigt, wie die Mönche waren. Zwei von ihnen brachten die Tiere in den Stall, zwei andere luden das Packpferd ab. Wieder andere stellten aufgeregt Fragen an den weitgereisten Abbé, der lächelnd abwinkte. Er würde warten, bis sie alle zusammensaßen.
    Die Ordensbrüder geleiteten die Ankömmlinge in das Refugium und servierten dort eine warme Mahlzeit und Wein. Gemeinsam nahmen sie das Essen an der großen Tafel ein. Alle waren sie begierig auf die Geschichten, die Pater Simon zu erzählen hatte und auch gleich nach der Vorspeise zum Besten gab. Von fremden Sitten, Göttern und Speisen war die Rede, von Handel mit Gewürzen und kostbaren Stoffen. Von gefährlichen Tieren und ebenso gefährlichen Wegen durch Berge und Wüsten.
    Die Brüder begannen eine lebhafte Diskussion über Handelswege und Glaubensfragen. Jarin hörte nur noch mit halbem Ohr zu. Er wollte viel lieber mehr über diesen Jungen neben dem Pater wissen. Ab und zu warf er Akio einen verstohlenen Blick zu. Ja, es war ein Junge, soviel war sicher.
    Inzwischen hatte der Fremde die Kapuze und den Umhang abgelegt. Glattes kinnlanges Haar, schwarz wie Ebenholz, umrahmte sein Antlitz. Natürlich kam der Pater auch auf seinen Gast zu sprechen.
    „Akio wurde als Kind verkauft. Er muss europäischer Abstammung sein, auf der anderen Seite fließt asiatisches Blut in seinen Adern. Seinen Vater kennt er nicht. Ich fand ihn in einer Seidenmanufaktur, wo er die zartesten Stoffe bemalte. Kein Vergleich zu dem, was wir hier in Europa kennen. Oh, ihr solltet sehen, welche Kunstwerke er dort gezaubert hat. Er besitzt eine großartige Gabe, die dem König sicher gefallen wird. Da die Chinesen ihn nicht gerade gut behandelt haben, habe ich ihn freigekauft und nahm ihn mit. Er spricht unsere Sprache noch nicht gut, obwohl ich ihm unterwegs eine Menge beigebracht habe. Ich denke, er wird viel von uns lernen und wir auch von ihm.“
    „Und was soll mit ihm geschehen?“, wollte einer der Brüder wissen. Offenbar dachte er nur daran, dass wieder ein Esser mehr an der mager gedeckten Tafel sitzen würde.
    „Im nächsten Frühjahr werden wir dem König seine Kunstfertigkeit anbieten. Akio wird bestimmt ein nützliches Mitglied unserer Gemeinschaft“, wandte der Abbé zur Beruhigung aller ein. „Zur gleichen Zeit soll ja auch unser Jarin seine Entscheidung treffen. Vielleicht will er das Leben bei Hofe kennenlernen? Es sei denn, Jarin hat sich bereits entschieden und möchte lieber bei seinen Brüdern im Kloster bleiben!“
    Bei dem letzten Satz blickten alle den blonden Jüngling an der Tafel an, der verlegen mit dem Holzlöffel in seinem Eintopf herumstocherte. Nein, wollte er nicht. Aber er wagte es nicht, seinen Wunsch offen auszusprechen. Ein zögerliches Lächeln war stattdessen seine Antwort. Pater Clement, mittlerweile Vorsteher des Klosters, hob die Hand, um die Vesper aufzuheben:
    „Freunde und Mitbrüder, zunächst lasst uns beten und dann möge unser lieber Bruder Simon mehr von seiner Reise erzählen. Jarin, gib unserem jungen Gast die Kammer neben deiner und bring ihm frische Kleidung. Er wird erschöpft sein. Ein heißes Bad sollte ihm ebenfalls gut tun. Kümmere dich ein wenig um ihn!“
    Jarin war froh, sich erheben zu dürfen und winkte dem anderen Jungen zu, ihm zu folgen. Akio schien ebenfalls froh, der Neugier und den vielen unbekannten Gesichtern entkommen zu können. Gemeinsam stellten sie den Badezuber in Akios Raum und erhitzten das Wasser dafür in einem Kessel über dem Feuer. Eimer für Eimer verfrachteten sie schweigend in den hölzernen Bottich, der schier unersättlich schien.
    „So, fertig“, stöhnte Jarin und wies auf den gefüllten Zuber, aus dem Dampf aufstieg. „Na los, hinein mit dir“, forderte er den fremden Jungen auf und dieser begann, seine zerrissenen Kleider auszuziehen. Jarin zog sich zurück, um ein frisches Gewand für ihn zu holen.
    Was für ein seltsamer Knabe, redet die ganze Zeit über kein Wort und gehorcht wie ein Hund, dachte er dabei.
    Er konnte ja nicht wissen, dass Akio in China ein fast unterwürfiges

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