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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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neuen Heim gab es einen Sohn, dazu seine Eltern, fünf Schwestern, eine Tante, einen Onkel und deren drei Kinder.) Wir Mädchen machten außerdem sechzehn Paar für uns selbst, vier Paar für jede der vier Jahreszeiten. Diese Schuhe würden kritischeren Blicken standhalten müssen als all unsere anderen Arbeiten, doch dem sahen wir unbekümmert entgegen, denn wir widmeten uns jedem einzelnen Paar mit der größtmöglichen Sorgfalt – von der Herstellung der Sohlen bis zum letzten Stich der Verzierung. Beim Schuhemachen konnten wir unsere technischen wie unsere künstlerischen Fähigkeiten unter Beweis stellen, gleichzeitig vermittelten sie aber auch eine freudige und zuversichtliche Botschaft. In unserem Dialekt klang das Wort für »Schuhe« genauso wie das Wort für »Kind«. Es war wie mit den Steppdecken: Je mehr Schuhe wir anfertigten, desto mehr Kinder würden wir bekommen. Der Unterschied ist nur, dass man beim Schuhemachen Feingefühl braucht, während das Nähen von Steppdecken Schwerstarbeit ist. Wir drei Mädchen arbeiteten Seite an Seite und konkurrierten auf die freundlichste Weise miteinander, um die schönsten Muster auf der Außenseite jedes Paars Schuhe zu entwerfen, während wir dem Inneren viel Stärke und Festigkeit verliehen.
    Unsere zukünftigen Familien schickten uns Schablonen für ihre Füße. Wir hatten unsere Ehemänner noch nicht kennen gelernt und wussten nicht, ob sie hochgewachsen oder pockennarbig waren, aber wir kannten die Größe ihrer Füße. Wir waren
junge Mädchen – so romantisch wie alle in diesem Alter -, und wir stellten uns aufgrund dieser Muster alles Mögliche über unsere Männer vor. Manches sollte sich als wahr herausstellen. Das meiste nicht.
    Anhand dieser Schablonen schnitten wir Stücke aus Baumwollstoff zurecht, dann klebten wir drei Schichten dieser Fußabdrücke aufeinander. Wir machten mehrere Sätze davon und legten sie zum Trocknen auf das Fensterbrett. Während des Fests der kühlen Brise trockneten sie sehr schnell. Sobald sie trocken waren, legten wir drei dieser Schichten aufeinander und nähten sie zu einer dicken, festen Sohle zusammen. Die meisten benutzen ein einfaches, sich wiederholendes Muster, das aussieht wie Reiskörner, aber wir wollten bei unseren neuen Familien Eindruck schinden, deshalb stickten wir andere Muster auf – einen Schmetterling mit ausgebreiteten Flügeln für einen Ehemann, eine blühende Chrysantheme für eine Schwiegermutter, eine Grille auf einem Zweig für einen Schwiegervater. Das war viel Arbeit nur für die Sohlen, aber für uns waren das Botschaften für die Menschen, die uns hoffentlich lieben würden, wenn wir einheirateten.
    Wie gesagt, in diesem Jahr war es während des Fests der kühlen Brise unerträglich heiß. Im oberen Gemach vergingen wir vor Hitze. Unten war es kaum besser. Zur Erfrischung tranken wir Tee, aber selbst in unseren leichtesten Sommerjacken und -hosen litten wir noch. Deshalb erzählten wir uns oft von kühlen Erinnerungen aus unserer Kindheit. Ich erzählte, wie ich meine Füße in den Fluss gesteckt hatte. Schöner Mond erinnerte sich, wie sie im Spätherbst durch die Felder gerannt war und die frische Luft an den Wangen gespürt hatte. Schneerose war einmal mit ihrem Vater in den Norden gereist, wo der eiskalte Wind aus der Mongolei wehte. All dies half uns gar nichts. Wir litten Qualen.
    Baba und Onkel erbarmten sich unser. Sie wussten besser als
wir, wie grausam das Wetter war. Gemeinsam mit meinen Brüdern arbeiteten sie jeden Tag unter der unerbittlichen Sonne. Aber wir waren arm. Wir hatten keinen Innenhof, in den wir uns setzen konnten, und kein Grundstück, auf das wir uns von Sänftenträgern bringen lassen konnten, um unter dem Schatten eines Baumes zu sitzen, und auch sonst keinen Platz, wo wir völlig geschützt vor den Blicken Fremder waren. Stattdessen nahm Baba ein bisschen von Mamas Stoff und baute uns mit Onkels Hilfe auf der Nordseite des Hauses eine Markise. Dann legten sie ein paar wattierte Winterdecken auf den Boden, damit wir weich sitzen konnten.
    »Die Männer sind tagsüber auf dem Feld«, sagte Baba. »Da kann euch keiner sehen. Bis sich das Wetter ändert, dürft ihr Mädchen eure Arbeit hier machen. Erzählt es nur nicht euren Müttern.«
    Schöner Mond war daran gewöhnt, zum gemeinsamen Sticken und ähnlichen Dingen zu ihren Schwurschwestern zu gehen, aber ich war seit meinen Milchjahren nicht mehr in Puwei auf der Straße gewesen. Sicher, ich war von unserer

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