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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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neue Familie gerade tat.
    »Mach die Augen zu und stell dir Folgendes vor.« Sie beugte sich nahe zu mir, und meine Troddeln bewegten sich mit jedem ihrer Worte. »Meister und Dame Lu müssen wunderschön gekleidet sein. Mit ihren Freunden und Verwandten haben sie sich nach Puwei aufgemacht. Sie werden von einer Kapelle begleitet, die unterwegs allen verkündet, dass an diesem Tag die Straße
ihnen gehört.« Sie senkte die Stimme. »Und wo ist der Bräutigam? Er wartet in Tongkou auf dich. Nur noch zwei Tage, dann siehst du ihn!«
    Plötzlich erscholl Musik. Sie waren beinahe da. Schneerose und ich gingen zum Gitterfenster. Ich teilte die Troddeln und blickte nach draußen. Immer noch konnten wir weder die Kapelle noch die Prozession sehen, aber ein Abgesandter kam unsere Gasse entlang, blieb vor unserer Schwelle stehen und überreichte meinem Vater einen Brief auf rotem Papier, auf dem erklärt wurde, dass meine neue Familie gekommen war, um mich zu holen.
    Dann bog die Kapelle um die Ecke, gefolgt von einer großen Schar Fremder. Sobald sie unser Haus erreicht hatten, ging das übliche Spektakel los. Unten schütteten die Leute Wasser und Bambusblätter über die Kapelle aus, begleitet von dem üblichen Gelächter und den Späßen. Ich wurde nach unten gerufen. Wieder nahm mich Schneerose an der Hand und führte mich. Ich hörte Frauenstimmen singen: »Ein Mädchen großzuziehen und es zu verheiraten, ist wie eine gute Straße für andere zu bauen.«
    Wir gingen hinaus, und Ehrenwerte Frau Wang stellte die Elternpaare einander vor. Ich musste in diesem Moment, in dem mich meine Schwiegereltern zum ersten Mal sahen, so zurückhaltend wie möglich sein, deshalb konnte ich Schneerose nicht einmal zuflüstern, dass sie mir beschreiben solle, wie sie aussahen, oder ob sie einschätzen konnte, was sie von mir hielten. Dann gingen meine Eltern voran zum Ahnentempel, wo meine Familie das erste von vielen Festmählern ausrichtete. Schneerose und andere Mädchen aus unserem Dorf setzten sich um mich herum. Besondere Gerichte wurden herbeigetragen. Es gab Alkohol. Die Gesichter wurden rot. Ich wurde von den Männern und den alten Frauen aufgezogen. Während des gesamten Festmahls sang ich Klagegesänge, und die Frauen antworteten.
Mittlerweile hatte ich schon seit sieben Tagen nichts Richtiges mehr gegessen, und vom Geruch all dieser Speisen war ich ganz benommen.
    Am nächsten Tag – dem Tag der großen Gesangsversammlung – gab es ein förmliches Mittagessen. Meine Handarbeiten und alle Dritter-Tag-Hochzeitsbücher wurden ausgestellt, begleitet durch Gesänge von Schneerose, den Frauen und mir. Mama und Tante führten mich zu dem Tisch in der Mitte. Sobald ich saß, setzte mir meine Schwiegermutter eine Schale Suppe vor, die sie zum Zeichen der Freundlichkeit meiner neuen Familie selbst zubereitet hatte. Für ein paar Schlucke dieser Brühe hätte ich alles gegeben.
    Durch den Schleier konnte ich das Gesicht meiner Schwiegermutter nicht sehen, aber als ich durch die Troddeln hindurch nach unten blickte und goldene Lilien sah, die so klein wie meine eigenen zu sein schienen, spürte ich eine Welle der Panik in mir aufsteigen. Sie hatte die besonderen Schuhe, die ich für sie angefertigt hatte, nicht angezogen. Ich erkannte auch, weshalb. Die Stickerei auf diesen Schuhen war weit kunstvoller als alles, was ich für sie gemacht hatte. Es war eine Schande für mich. Bestimmt schämten sich meine Eltern, und meine Schwiegereltern waren ernüchtert.
    In diesem schrecklichen Augenblick kam Schneerose an meine Seite und nahm mich wieder am Arm. Der Brauch verlangte es, dass ich die Gesellschaft verließ, und so geleitete sie mich aus dem Tempel hinaus und zurück nach Hause. Sie half mir nach oben, nahm mir den Kopfschmuck ab, zog mir das restliche Hochzeitsgewand aus und steckte mich in ein Nachtkleid und meine Schlafschuhe. Ich schwieg weiterhin. Es nagte an mir, wie vollkommen die Schuhe meiner Schwiegermutter waren, aber ich traute mich nicht, etwas zu sagen, nicht einmal zu Schneerose. Ich wollte nicht, dass auch sie von mir enttäuscht war.

    Ganz spät an diesem Abend kehrte meine Familie nach Hause zurück. Wenn ich irgendeinen Ratschlag über das Liebesspiel bekommen sollte, dann musste das jetzt passieren. Mama betrat das Zimmer, und Schneerose ging hinaus. Mama sah besorgt aus, und eine Sekunde lang glaubte ich, sie wäre gekommen, um mir zu sagen, dass meine Schwiegereltern die Verbindung auflösen wollten. Sie

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