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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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ihre großartigen Leistungen vorzuführen.
    »Ich weiß nicht, wen meine Mutter alles einladen will außer Tante Wang«, fuhr Schneerose fort. »Es wird eine Überraschung.«
    Wir schwiegen, während wir eine weitere Decke zusammenlegten. Ich warf ihr einen kurzen Blick zu. Ihre Züge waren angespannt. Zum ersten Mal seit vielen Jahren kamen meine alten Unsicherheiten wieder hoch. Hatte Schneerose immer noch das Gefühl, ich sei ihrer nicht wert? Schämte sie sich, wenn Frauen aus Tongkou meine Mutter und meine Tante kennen lernten? Dann rief ich mir wieder in Erinnerung, dass es doch um ihr Sitzen und Singen ging. Alles sollte ganz genau so sein, wie Schneeroses Mutter es haben wollte.
    Ich nahm eine Haarsträhne von Schneerose und steckte sie ihr hinters Ohr. »Ich kann es kaum erwarten, deine Familie kennen zu lernen. Das wird eine schöne Zeit werden.«
    Sie wirkte immer noch müde, als sie sagte: »Ich mache mir Sorgen, dass du enttäuscht sein wirst. Ich habe so viel von meiner Mama und meinem Baba erzählt …«

    »Und von Tongkou und deinem Haus …«
    »Wie kann das alles so schön sein, wie du es dir vorstellst?«
    Ich lachte. »Es ist dumm von dir, dir Sorgen zu machen. Alles, was ich im Kopf habe, kommt doch von deinen schönen Wortbildern.«
     
    Drei Tage vor meiner Hochzeit begann ich mit den Zeremonien für den Tag der Trauer und des Kummers. Mama setzte sich auf die vierte Stufe der Treppe zum oberen Gemach, die Frauen aus unserem Dorf kamen, um unsere Klagegesänge anzuhören, und alle machten ku, ku, ku mit viel Geschluchze. Als Mama und ich unsere Klagen und Gesänge voreinander beendet hatten, wiederholte ich das Ganze vor meinem Vater, Onkel, meiner Tante und meinen Brüdern. Ich mag vielleicht tapfer gewesen sein, und ich freute mich auf mein neues Leben, aber mein Körper und meine Seele waren schwach vor Hunger, denn eine Braut darf die letzten zehn Tage vor den Hochzeitsfeierlichkeiten nichts essen. Sollen wir durch diesen Brauch noch trauriger werden, weil wir unsere Familie verlassen müssen? Sollen wir dadurch willfähriger werden, wenn wir ins Heim unserer Männer ziehen, oder sollen wir unseren Ehemännern so reiner erscheinen? Woher soll ich das wissen? Ich weiß nur, dass Mama – wie die meisten Mütter – ein paar harte Eier für mich im Frauengemach versteckte, aber die verliehen mir kaum Kraft, und ich wurde mit jedem neuen Ereignis schwächer.
    Am nächsten Morgen wachte ich vor lauter Nervosität plötzlich auf, aber Schneerose war neben mir. Ihre weichen Finger lagen auf meiner Wange, und sie versuchte mich zu beruhigen. Heute sollte ich meinen Schwiegereltern vorgestellt werden, und ich hatte so große Angst davor, dass ich gar nichts hätte essen können, selbst wenn ich es gedurft hätte. Schneerose half mir in das Hochzeitsgewand, das ich genäht hatte – eine kurze, kragenlose Jacke mit einem Gürtel über einer langen Hose. Sie
schob mir die silbernen Armreifen über das Handgelenk, die mir die Familie meines Mannes geschickt hatte, dann half sie mir, auch ihre anderen Geschenke anzulegen – die Ohrringe, die Kette und die Haarnadeln. Meine Armreifen klimperten, und die silbernen Glücksbringer, die ich an meine Jacke genäht hatte, klingelten hübsch. An den Füßen trug ich meine roten Hochzeitsschuhe und auf dem Kopf einen kunstvollen Kopfschmuck mit Perlenkugeln und silbernen Anhängern – all das wackelte, wenn ich ging, den Kopf bewegte oder wenn ich mich meiner Gefühle nicht erwehren konnte. Rote Troddeln hingen vorne an dem Kopfschmuck herab und bildeten einen Schleier. Es gab nur eine einzige Möglichkeit für mich, etwas zu sehen und mich dennoch zu benehmen, wie es sich geziemte: nämlich gerade nach unten zu blicken.
    Schneerose führte mich die Treppe hinunter. Dass ich nichts sehen konnte, änderte nichts an der Vielfalt von Gefühlen, die ich empfand. Ich hörte die unsteten Schritte meiner Mutter, ich hörte, wie sich meine Tante und mein Onkel leise unterhielten, und ich hörte das Kratzen des Stuhls, als mein Vater aufstand. Gemeinsam gingen wir zum Ahnentempel von Puwei, wo ich meinen Vorfahren für mein Leben dankte. Die ganze Zeit wich mir Schneerose nicht von der Seite, führte mich durch die Gassen, sprach mir flüsternd Mut zu und mahnte mich zur Eile, weil meine Schwiegereltern bald kommen würden.
    Wieder zu Hause, gingen Schneerose und ich nach oben. Um mich zu beruhigen, hielt sie mir die Hände und versuchte zu beschreiben, was meine

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