Seidenfächer
Ich wartete, bis die Heiratsvermittlerin weg war, dann faltete ich den Brief auseinander. Schneerose hatte in Nushu geschrieben:
Ich bin schwanger. Jeden Tag wird mir übel. Meine Mutter sagt, das bedeutet, dass sich das Baby in meinem Bauch wohl fühlt. Ich hoffe, es ist ein Junge. Ich wünsche, dass es dir genauso ergeht.
Ich konnte es nicht fassen, dass Schneerose mich geschlagen hatte. Ich war doch diejenige mit dem höheren Status. Ich hätte zuerst schwanger werden sollen. Ich war so tief gedemütigt, dass ich Mama und Tante die guten Neuigkeiten gar nicht erzählte. Ich wusste, wie sie reagieren würden. Mama würde mich kritisieren, und Tante würde sich für Schneerose freuen.
Als ich das nächste Mal meinen Mann besuchte, schlang ich beim Liebesspiel die Beine um ihn und hielt ihn mit den Armen auf mir fest, bis er zum Ende gekommen war. Ich hielt ihn so
lange, bis er schlaff in mir einschlief. Ich lag noch lange wach, atmete ruhig, dachte an den Vollmond draußen und lauschte, ob der Bambus vor unserem Fenster raschelte. Am Morgen war mein Mann von mir weggerollt und schlief auf der Seite. Mittlerweile wusste ich, was ich tun musste. Ich langte unter die Decke und legte meine Hand um sein Glied, bis es steif war. Als ich mir sicher war, dass er gleich die Augen aufschlagen würde, zog ich die Hand zurück und machte selbst die Augen zu. Ich ließ ihn wieder gewähren, und als er aufstand und sich anzog, um seinen Tag zu beginnen, blieb ich ganz still liegen. Wir hörten seine Mutter in der Küche die Arbeiten verrichten, die ich längst hätte erledigen sollen. Mein Mann warf mir einen Blick zu, mit dem er mir eine deutliche Botschaft schickte: Wenn ich nicht bald aufstand und meine Pflichten erledigte, würde das ernsthafte Konsequenzen haben. Er schrie mich nicht an, und er schlug mich nicht, wie es manche Ehemänner vielleicht getan hätten, aber er verließ das Zimmer grußlos. Kurz darauf hörte ich ihn und seine Mutter leise flüstern. Niemand kam, um mich zu holen. Als ich schließlich aufstand, mich ankleidete und in die Küche ging, lächelte meine Schwiegermutter zufrieden, während Yonggang und die anderen Mädchen sich wissende Blicke zuwarfen.
Als ich zwei Wochen später in meinem eigenen Bett bei meinen Eltern lag, wachte ich auf und hatte das Gefühl, Fuchsgeister erschütterten das Haus. Ich schaffte es gerade noch zu dem halb gefüllten Nachttopf und übergab mich. Tante kam zu mir ins Zimmer, kniete sich neben mich und wischte mir mit dem Handrücken das feuchte Gesicht ab. »Jetzt wirst du uns endgültig verlassen«, sagte sie, und zum ersten Mal seit sehr langer Zeit verzog sich ihre große Mundhöhle zu einem breiten Lächeln.
An diesem Nachmittag setzte ich mich mit Tusche und Pinsel hin und schrieb Schneerose einen Brief. »Wenn wir uns dieses
Jahr beim Gupotempel sehen«, schrieb ich, »werden wir beide rund wie der Mond sein.«
Wie du dir vorstellen kannst, war Mama in diesen Monaten genauso streng mit mir wie damals beim Füßebinden. Es lag wohl in ihrer Natur, immer nur mit dem Schlimmstmöglichen zu rechnen. »Du darfst nicht auf Berge steigen«, ermahnte sie mich, als hätte ich das je gedurft. »Du darfst keine schmale Brücke überqueren, nicht auf einem Fuß stehen, keine Sonnenoder Mondfinsternis ansehen und nicht in heißem Wasser baden.« Es bestand nie die Gefahr, dass ich eines dieser Dinge machte, aber die Einschränkungen beim Essen waren eine andere Geschichte. In unserem Landkreis sind wir stolz auf unser stark gewürztes Essen, aber ich durfte nichts zu mir nehmen, was mit Knoblauch, Chili oder Pfeffer gewürzt war, weil das die Nachgeburt verzögern konnte. Ich durfte kein Lammfleisch essen, denn dann könnte das Baby kränklich zur Welt kommen, und auch keinen Fisch mit Gräten, denn das hätte schwere Wehen zur Folge. Ich durfte nichts zu Salziges, zu Bitteres, zu Süßes, zu Saures oder zu Scharfes essen, also waren mir fermentierte Bohnen, Bittermelone, Mandelquark, scharfsaure Suppe sowie alles, was auch nur ein bisschen gewürzt war, verboten. Ich bekam einfache Suppe, kurz gebratenes Gemüse mit Reis sowie Tee. Ich hielt mich an diese Diät, denn ich wusste, dass meine Stellung voll und ganz von dem Kind, das in mir wuchs, abhing.
Mein Mann und meine Schwiegereltern freuten sich natürlich sehr, und sie bereiteten schon alles für meine Ankunft vor. Mein Baby sollte am Ende des siebten Mondmonats geboren werden. Ich wollte das jährliche Fest am
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