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Seidenfächer

Titel: Seidenfächer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: L See
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weitertragen, selbst wenn wir schon ins Jenseits gegangen sind.«
    »Gut, das ist also abgemacht. Jetzt leg dich neben mich. Verzieh die Stirn nicht so. Das ist ein glücklicher Augenblick. Wir wollen zusammen glücklich sein.«
    Im folgenden Frühjahr kehrten wir mit unseren neugeborenen
Töchtern nach Puwei zurück. Ihre Geburtsmonate passten nicht zusammen. Wir wickelten sie aus ihren Windeln und hielten ihre Fußsohlen aneinander. Schon als Babys passten ihre Füße nicht zusammen. Ich mag ja meine Tochter Jade mit dem Blick einer Mutter gesehen haben, aber selbst ich musste zugeben, dass Schneeroses Tochter Frühlingsmond im Vergleich zu meiner Tochter schön war. Jade hatte für die Familie Lu zu dunkle Haut, während der Teint von Frühlingsmond aussah wie das Fleisch eines weißen Pfirsichs. Ich hoffte, Jade würde so stark werden wie der Stein, nach dem sie benannt war, und ich wünschte, Frühlingsmond würde robuster werden als meine Cousine, die Schneerose durch den Namen ihrer Tochter ehren wollte. Keines der acht Zeichen passte zusammen, aber das war uns egal. Diese Mädchen sollten Weggefährtinnen werden.
    Wir öffneten den Fächer und betrachteten unser gemeinsames Leben. So viel Glück war hier aufgezeichnet. Unser Bund. Unsere Hochzeiten. Die Geburt unserer Söhne. Die Geburt unserer Töchter. Ihr zukünftiger Bund. »Eines Tages werden sich zwei Mädchen treffen und laotong werden«, schrieb ich. »Sie werden sein wie zwei Mandarinenten. Ein zweites Paar wird – frohen Herzens – auf einer Brücke sitzen und zusehen, wie die beiden in die Luft aufsteigen.« Über die Girlande oben malte Schneerose zwei kleine Flügelpaare, die auf den Mond zuflogen. Die anderen Vögel saßen zusammen im Nest und blickten hinauf.
    Als wir fertig waren, setzten wir uns zusammen hin und hielten unsere Töchter im Arm. Ich verspürte eine große Freude, und ich dachte keinen Moment daran, dass wir ein Tabu brachen, wenn wir die Regeln für den Bund zweier Mädchen missachteten.
     
    Zwei Jahre später schickte mir Schneerose einen Brief, in dem sie verkündete, dass sie endlich einen zweiten Sohn geboren
hatte. Sie war überglücklich, und auch ich war froh, denn ich glaubte, dadurch wäre ihr Status im Haus ihres Ehemanns gestiegen. Doch wir hatten kaum Zeit für unsere Freude, denn nur drei Tag später gab es traurige Neuigkeiten in unserem Land. Kaiser Daoguang war ins Jenseits gegangen. Unser Landkreis trauerte, auch als Xianfeng, sein Sohn, der neue Kaiser wurde.
    Aufgrund der bitteren Erfahrung, die Schneeroses Familie gemacht hatte, wusste ich, wenn ein Kaiser stirbt, fällt sein Hof in Ungnade, und mit jedem Kaiserwechsel kommen Unordnung und Disharmonie nicht nur in den Palast, sondern auch über das Land. Als mein Schwiegervater, mein Mann und seine Brüder beim Abendessen diskutierten, was außerhalb von Tongkou passierte, nahm ich nur das auf, was ich gar nicht ignorieren konnte. Irgendwo gab es Probleme mit Rebellen, und Landbesitzer verlangten von den Bauern eine höhere Pacht für ihren Grund. Ich bedauerte zwar die Leute, die darunter leiden würden – wie die in meinem Elternhaus -, aber all dies schien von den Annehmlichkeiten des Hauses Lu ganz weit weg zu sein.
    Dann verlor Onkel Lu seine Stellung und kehrte nach Tongkou zurück. Als er aus der Sänfte stieg, verrichteten wir alle einen Kotau und berührten mit der Stirn den Boden. Als er uns sagte, wir sollten aufstehen, sah ich einen alten Mann in seidenen Gewändern. Er hatte zwei Leberflecke im Gesicht. Alle Menschen hegen die Haare, die aus ihren Leberflecken sprießen, aber die von Onkel Lu waren besonders prächtig. Aus jedem Muttermal wuchsen mindestens zehn Haare – sie waren dick, weiß und gut drei Zentimeter lang. Als ich ihn dann besser kennen lernte, stellte ich fest, dass er gerne mit diesen Haaren spielte und immer leicht daran zog, damit sie womöglich noch mehr wuchsen.
    Seine klugen Augen musterten ein Gesicht nach dem anderen, bis er den Blick auf meinen erstgeborenen Sohn richtete.
Mein Junge war nun acht Jahre alt. Onkel Lu, der eigentlich zuerst seinen Bruder hätte begrüßen müssen, streckte seine Hand mit den hervortretenden Adern aus und legte sie meinem Sohn auf die Schulter. »Lies tausend Bücher«, sagte er mit einer Stimme, in der man seine Bildung und auch die vielen Jahre in der Hauptstadt durchhörte, »und deine Worte werden strömen wie ein Fluss. Und nun zeig mir den Weg nach Hause, Kleiner.« Damit nahm

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