Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel
ein Stirnrunzeln seinerseits schnell verschwand.
Die Limousine war geräumig und bot genug Platz für alle vier. Isabelle setzte sich auf die Bank, Toshi gegenüber und neben Hi. Tsuki nahm neben Toshi Platz. Als sie die Tür hinter sich zugeschlagen hatten, fuhr der Wagen los.
„Sie wirken nicht nervös. Mein Kompliment, Lérand-san“, beendete Toshi das Schweigen, nachdem sie bereits eine Weile gefahren waren.
„Ich habe keinen Grund“, gab sie ruhig zurück. „Was auch immer Sie sich ausgedacht haben, ich werde das auch noch überstehen.“
„Wollen Sie Ihren Bruder so sehr wiederfinden, oder sind Sie einfach derart dickköpfig?“
Sie war von ihm keine derart direkten Fragen gewohnt; er sah es ihr deutlich an. Die grünen Augen verengten sich leicht. „Ich halte Dickköpfigkeit für eine erstrebenswerte Eigenschaft“, gab sie zurück. „Aber meine Charaktereigenschaften dürften für Sie wohl kaum von Interesse sein. Mich würde allerdings interessieren, was genau Sie heute mit mir vorhaben.“
Toshi kam nicht umhin zu lachen. Ihr Versuch, ihn aus der Reserve zu locken, hatte etwas Naives, aber sehr Reizvolles an sich.
„Ich möchte gerne, dass Sie einige Freunde von mir kennenlernen. Und dass Sie etwas Neues lernen.“
„Und was soll das sein, dass ich lernen soll?“
Hi legte den Arm auf die Rückenlehne der Sitzbank. Isabelle setzte sich automatisch aufrechter hin. „Wurdest du schon einmal gefesselt?“
Die grünen Augen weiteten sich und starrten Hi an.
„Shibari hat eine sehr lange Tradition in Japan“, mischte Toshi sich ein. „Ursprünglich war es eine Kampftechnik der Samurai, um ihre Gegner zu fesseln. Mittlerweile haben wir allerdings wesentlich ästhetischere und ... lustvollere Verwendungen dafür gefunden.“
War da ein Hauch von Rot auf ihrem Gesicht? Sie wusste, wovon er sprach. Er hatte sie richtig eingeschätzt.
Je näher sie Tokio kamen, umso nervöser wurde Isabelle. Sie hatte es bisher verbergen können - das hoffte sie zumindest. Aber es kostete sie all ihre Selbstbeherrschung, um nicht ihre eigenen Hände zu kneten oder ihren Nacken zu reiben. Eine Unart, die ihre Mutter ihr immer wieder hatte abgewöhnen wollen. Bis heute erfolglos.
Die Limousine schlängelte sich durch den Verkehr der großen Stadt. Nach den vergangenen Tagen voller Ruhe inmitten der Berge, wirkte der Lärm überlaut, selbst durch die Fensterscheiben hindurch.
Der Obi begann unangenehm zu drücken. Kyo hatte ihr erklärt, dass er eigentlich viel höher saß, aber Isabelles Körbchengröße hatte das unmöglich gemacht. Dennoch drückte der harte, mehrlagige Stoff unangenehm gegen ihre Brüste. Umso erleichterter war sie, als die Limousine endlich vor einer Stadtvilla hielt. Sie war kaum zu sehen, denn eine hohe Mauer umgab das Grundstück. Nur das oberste Stockwerk und das Dach schauten darüber hinaus.
Tsuki ging vor und betätigte die Klingel. Kurz darauf wurde das Gartentor geöffnet, und ein unscheinbar wirkender Mann kam heraus. Er verneigte sich und bat sie, einzutreten.
Tsuki ging vor. Isabelle spürte Toshis Hand in ihrem Rücken, der sie sanft führte und neben ihr ging. Hi war die letzte in der Runde, hinter der sich die Tür wieder schloss.
Der Garten hinter der Mauer ähnelte entfernt dem in Nikkō. Weite Rasen-und Kiesflächen, unterbrochen von einigen zurechtgestutzten Bäumen. Er war allerdings sehr viel kleiner und grell erleuchtet. Der unscheinbare Mann führte sie auf einem eingezäunten Weg direkt zum Haus, das Isabelle eher an einen überdimensionalen Betonklotz erinnerte. Das Innere war spartanisch eingerichtet – nur wenige zweckmäßige Möbel und weiße Teppiche. Das einzig Persönliche waren gerahmte Fotos. Isabelle konnte im Vorbeigehen nur einen flüchtigen Blick darauf werfen, aber sie war sich sicher, dass es sich um dieselben Bilder handelte, die sie auch im Sakura View gesehen hatte.
Ihr Weg führte durch einen dunklen Flur, an dessen Ende eine Tür offen stand. Der Mann bat sie, hineinzugehen, und alle vier folgten seiner Aufforderung. Isabelle blinzelte, als es so plötzlich wieder hell wurde. Sie befanden sich in einem Saal, der mit Kerzen und weichem elektrischem Licht beleuchtet war. Die Fenster waren mit Vorhängen verhangen, und überall im Raum waren niedrige Podeste und Sitzgelegenheiten aufgestellt. Eine Menge Leute befanden sich bereits darin. Alle waren Japaner, soweit Isabelle das feststellen konnte, aber die Art der Kleidung war bunt gemischt.
Weitere Kostenlose Bücher