Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel
„Das ist die Kunst des Shibari.“
Während Kamo sprach, hatten sich einige der Gäste zu Grüppchen zusammengetan. Sie drängten sich um die verschiedenen Tischchen und Podeste, auf denen jeweils eine nackte Frau oder ein nackter Mann standen. Eine Person aus jeder Gruppe kam nun zu Kamo und verneigte sich vor ihm. Kamo erwiderte diese respektvolle Geste nur mit einem Nicken. Er stand auf und bedeutete Isabelle, es ihm nachzutun. Jetzt sah sie auch, wo er das Seil herhatte. Mehrere der gleichen Art lagen aufgerollt unter dem Tischchen. Kamo nahm einige davon und gab sie an die Vertreter der Gruppen, die damit zu den nackten Leuten zurückkehrten.
„Kommen Sie. Sehen Sie es sich an.“
Er bot Isabelle den Arm, und sie hakte sich bei ihm unter. Kamo führte sie durch den Saal, an den Tischchen vorbei. Auf denen standen noch immer die nackten Gäste. Einige der anderen Anwesenden hatten begonnen, die Seile anzuwenden. Isabelle sah eine Frau, die mit unglaublicher Schnelligkeit und Geschick einem Mann die Arme auf den Rücken fesselte. Das Seil um seine Handgelenke schien ihr nicht genug, sie umschlang auch seine Oberarme kunstvoll. Auf seinem Gesicht war ein zufriedenes Lächeln zu sehen.
Das Bild wiederholte sich, auch wenn die Knoten oder die Art der Verschnürung variierten. Einige Leute lagen auf dem Rücken; ihnen wurden Arme und Beine an den Körper gefesselt. Andere wurden mit verschiedenen Seilen aneinander gebunden.
„Ich halte solche Treffen monatlich ab“, erklärte Kamo neben ihr mit amüsierter Stimme. Isabelles Faszination war ihm nicht entgangen. „Es werden nur Schüler, deren Favoriten oder Liebhaber eingeladen. Was davon sind Sie?“
Isabelle antwortete nicht. Sie hatte etwas entdeckt, das ihren Blick nicht losließ. Kamo lächelte und führte sie näher heran. Die Leute machten ihnen freiwillig Platz, und schließlich standen sie in der ersten Reihe der Schaulustigen vor einem Podest. Es befand sich genau in der Mitte des Saals. Einige geschickt ausgerichtete Deckenlampen beleuchteten die Szenerie perfekt, und Isabelle war nicht die einzige, die gebannt auf das Geschehen starrte.
Eine junge japanische Frau stand nackt auf dem schwarz angemalten Holz. Ihre Haut war wie weißes Porzellan, was das pechschwarze Haar zu einem starken Kontrast machte. Ihre Lippen waren in einem sündigen Rotton geschminkt. Isabelle fühlte sich an das Märchen von Schneewittchen erinnert. Auch wenn Schneewittchen sich sicherlich niemals auf diese Weise vor dem Prinz oder den sieben Zwergen präsentiert hatte.
Schneewittchen hatte sich sicherlich auch nie tätowieren lassen. Anders als diese Japanerin. Auf ihrem schlanken Rücken schwamm ein weißer Koi mit einem roten Punkt auf der Stirn. Ebenso weiße Seerosen inmitten grüner Blätter bedeckten die schmalen Schulterblätter und wuchsen bis auf ihren Oberschenkel. Sie drehte sich um, und Isabelle sah kleine, aber straffe Brüste mit fast so roten Brustwarzen wie die Farbe ihrer Lippen. Ein kaum sichtbarer String verdeckte ihre Scham vor weiteren neugierigen Blicken.
Ihre Blöße schien sie nicht zu stören. Im Gegenteil, sie genoss die Blicke der anderen Gäste auf ihrem Körper sichtlich. Ihr Lächeln galt jedoch nicht der Menge, sondern einem Mann, der gerade dabei war, Jackett und Hemd abzustreifen. Er wandte Kamo und Isabelle den Rücken zu und offenbarte dadurch eine großflächige Tätowierung. Es war ein Drache. Der Rücken des Mannes war breit und muskulös – das Fabeltier zeigte eine beeindruckende Größe. Das aufgerissene Maul und die abgespreizten Klauen verliehen ihm eine Aura von Gefahr und Macht. Der schlangenähnliche, geschuppte Leib wand sich in bizarren Schlingen und schien zu tanzen, als der Mann weiter auf die Frau zutrat, und sich dabei die Muskeln und die tätowierte Haut bewegten.
Er wandte sich halb zur Seite, und Isabelle erkannte Toshi, der nach einem Hanfseil griff. Der Anblick und das, was er bedeutete, versetzte ihr einen Stich. Toshi würde die fremde Frau fesseln. Isabelle senkte den Kopf und schluckte hart. Warum kümmerte es sie überhaupt?
„Sie haben gemeinsam von mir gelernt“, sagte Kamo, der ihre Geste wohl als Frage an ihn verstanden hatte. „Sie harmonieren gut miteinander, nicht wahr?“
Isabelle hob den Blick. Tatsächlich ergänzten sich Toshi und die Japanerin gut. Er war vor sie getreten und strich ihr sanft das lange schwarze Haar über die Schulter nach hinten. Anders als an Tomo war an dieser Frau
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