Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel
Einige Frauen trugen, wie sie selbst, einen Kimono, und einige Männer Hakama, Yukata und Haori. Es gab aber mindestens genauso viele Personen, die sich in Abendgarderobe nach westlicher Art gehüllt hatten. Ihre Ankunft wurde neugierig aufgenommen, zog das allgemeine Interesse aber nicht lange auf sich. Nur ein Mann nahm wirklich Notiz von ihnen. Er durchquerte den Raum, ohne auf die Leute zu achten, die versuchten, sich mit ihm zu unterhalten, und blieb vor Isabelle stehen. Er war etwas kleiner als Toshi, hatte die 40 erreicht und trug einen dunkelbraunen Hakama mit einem schwarzen Überwurf, einem Haori. Er verneigte sich leicht und Isabelles Begleiter erwiderten die Geste. Der Mann strahlte Autorität aus; auch wenn Isabelle gezwungen war, hier zu sein, wollte sie nicht als unhöflich gelten. Sie verneigte sich ebenso wie die anderen.
„Willkommen“, sagte er und seine Stimme klang angenehm ruhig. Isabelle wurde aber das Gefühl nicht los, dass Stahl unter dieser Ruhe lag. „Sie müssen Toshi-kuns neue Begleiterin sein?“
Isabelle lächelte schmal. Toshi-kun? Das hieß wohl, dass dieser Mann in Rang und Alter höher stand als Toshinaka. Sie verneigte sich abermals und sagte: „Es freut mich, dass wir uns hier das erste Mal begegnen. Mein Name ist Isabelle Lérand. Bitte seien Sie nachsichtig mit mir.“ Es war eine übliche höfliche Floskel, mit der man sich vorstellte. Der fremde Mann schien allerdings entzückt darüber, dass eine Ausländerin, eine Gaijin, sie beherrschte.
„Ich muss zugeben, ich bin beeindruckt, Isa-chan“, sagte er ganz selbstverständlich. „Mein Name ist Yuki Kamo.“
Er berührte ihren Arm, und selbst durch die Lagen von Seide hindurch spürte Isabelle, wie hart sein Arm der war. Seine Berührung selbst aber war wie seine Stimme: sanft, mit verborgener Kraft. „Haben Sie jemals an einem Shibari-Treffen teilgenommen?“
„Ich befürchte, nicht.“ Allein die Tatsache, dass der Mann namens Kamo Toshinaka behandelte, als wäre er ein kleiner Junge, machte ihn Isabelle sympathisch.
„Aber Sie wissen, um was es sich handelt?“
Isabelle sah zu Toshinaka, der verlegen wirkte und den Blick Kamos mied. Sie konnte sich ein diebisches Grinsen nicht verkneifen, unterdrückte es aber, sobald sie sich wieder Kamo zuwandte. „Ich befürchte, nur sehr grob. Toshikun war, was Informationen zum heutigen Abend angeht, eher schweigsam“, benutzte sie lächelnd Toshinakas Kosenamen.
„Wir hatten nicht viel Zeit, Sensei“, presste der zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor und durchbohrte Isabelle mit Blicken. Ob nun wegen des ‚Kun‘, oder weil sie ihn schlecht dastehen ließ, war nicht klar. Jetzt erklärte sich allerdings, warum der Yakuza so kleinlaut wurde – Kamo war sein Lehrer, sein Sensei.
„Das ist kein Grund!“, gab Kamo scharf zurück. „Eine Frau wie sie kannst du nicht unvorbereitet hierherbringen!“
Er legte seinen Arm um Isabelles Taille. Sie wollte protestieren, aber Kamo zog sie bestimmt mit sich. „Verzeihen Sie bitte die Dummheit meines Schülers“, sagte er, und sein aufbrausendes Verhalten, das er noch Toshi gegenüber an den Tag gelegt hatte, verschwand. „Aber in einem Punkt muss ich ihm recht geben: Sie scheinen die richtigen Voraussetzungen mitzubringen.“
„Ich fühle mich geschmeichelt“, sagte Isabelle, auch wenn sie aufpassen musste, nicht zu lachen. Ihre Anspannung verflüchtigte sich zum Teil einfach durch den recht exzentrischen Lehrer. Mittlerweile hatten sie den Raum fast durchquert. Von Tsuki und Toshi war nichts mehr zu sehen; sie waren in der Menge untergetaucht. Isabelle konnte nur noch Hi ausmachen, die in der Nähe ein Gespräch mit einem Pärchen begann.
Kamo bot ihr einen Platz auf einem niedrigen Sitzkissen an und setzte sich daneben. Durch den Kimono musste Isabelle knien. Ihre Beine taten schon nach kurzer Zeit weh, aber sie ließ sich den Schmerz nicht anmerken.
Kamo hatte plötzlich ein Seil in der Hand. Es war zusammengerollt und sehr lang.
„Das ist ein Hanfseil“, erklärte der Japaner ihr und gab es Isabelle in die Hand. Sie hatte erwartet, dass es sich rau und spröde in ihren Händen anfühlen würde, aber es war weich und geschmeidig. „Ich verspreche Ihnen, dass dieses Seil Ihre Schönheit verzehnfachen wird.“ Seine Hand legte sich auf Isabelles. „Was auch immer noch unter Ihrem bezaubernden Kimono verborgen ist, mithilfe dieses Seils werde ich es zum Vorschein bringen.“ Er lächelte charmant.
Weitere Kostenlose Bücher