Seidenfessel - Maeda, K: Seidenfessel
sah aus der Fensterfront, die jeden Raum vereinnahmte. Die Lichter Tokios funkelten wie Miniatursterne in einem See.
„Warum meldet er sich nicht?“, fragte sie unvermittelt. Kyos Lachs blieb auf halbem Weg zwischen Teller und Mund stehen. „Was?“
Isabelle stellte ihr Glas ab und atmete tief ein. „Toshi. Keine Nachricht, kein Besuch, nichts.“
„Sag nicht, du vermisst ihn etwa?“, grinste der Host und legte die Gabel zurück auf den Teller.
„Das ist es nicht“, wehrte Isabelle heftig ab.
„Was dann?“ Kyo grinste noch breiter und beugte sich, die Ellbogen auf dem Tisch abgestützt, zu Isabelle hin.
Die fühlte sich ertappt und verschränkte die Arme vor der Brust. „Es ist nur ... ich hatte gedacht, er würde mehr aus diesem Deal machen.“
„Mehr in deinem Bett?“ Kyos Grinsen wurde nicht kleiner. Isabelle ballte unbewusst die Hände zur Faust.
„Was soll ich mit diesem ... diesem Yakuza?“
„Du verurteilst ihn schnell. Dabei bin ich sicher, dass er eine andere Meinung von dir hat.“
Isabelle rang mit sich. Nach einer kurzen Pause fragte sie: „Was für eine Meinung hat er von mir?“
„Ah, das interessiert dich also doch!“
Isabelle schnaubte. „Verdammt, Kyo, jetzt sag endlich, was du zu sagen hast!“
Der Host nahm die Gabel wieder auf und kaute erst genüsslich an seinem Lachs, ehe er Isabelle, die ihn wütend anstarrte, antwortete: „Ich glaube, du lässt Toshi nicht ganz so kalt, wie du denkst.“
„Wer sagt dir das?“
Kyo aß weiter. „Ich kenne ihn noch nicht solange, aber ich habe bisher nicht erlebt, dass er sich einer Frau so intensiv widmet. Für Toshi steht die Yakuza an erster Stelle. Frauen waren nie ein so zentraler Punkt für ihn, wie du es die letzten Wochen gewesen bist.“
„Ich habe ihn seit Tagen nicht mehr zu Gesicht bekommen“, widersprach Isabelle Kyos Theorie, auch wenn etwas in ihr einen Sprung tat.
„Was nicht heißt, dass er sich dir nicht widmet. Du unterschätzt die Yakuza und besonders Toshi, Isabelle.“
Das klang ernst. Isabelle sah wieder aus dem Fenster. „Warten wir einfach ab“, seufzte sie.
Toshi legte die letzte Akte beiseite. Neue Glücksspielhallen, neue Geschäfte – er konnte förmlich spüren, wie ihm diese immer weiter anwachsenden Verpflichtungen die Kraft aussaugten, wie Schlangen an seinen Adern. Er verließ sein Büro kaum noch und widmete sich nur noch Dingen, die mit den Jahren begonnen hatten, für ihn zu einer Last zu werden. Aber die Yakuza verließ man nicht einfach so.
Er hob die Hand und nahm die schmale Brille ab, die er zum Lesen benötigte. Er hasste sie, aber ohne würden seine Augen nur noch schlechter werden. Seine Finger massierten geübt seinen Nasenrücken, und er schloss die Augen, um sich einen kurzen, kostbaren Moment der Ruhe zu gönnen. Natürlich war er selbst nicht ganz unschuldig an der Situation. Etwas in ihm hatte die Masse an Arbeit begrüßt, um sich abzulenken von Gedanken, die ihn störten. Gedanken an Isabelle. An Isabelle, die tagtäglich mit Kyo zusammen war. Hi und Tsuki lieferten ihm jeden Tag einen Bericht über die Vorkommnisse im Appartement, aber er hatte noch nicht gewagt, hineinzusehen. Die Akten lagen als säuberlich aufgeschichteter Stoß an der äußersten Ecke seines Schreibtischs. Wenn im Sakura View etwas geschah, was Isabelle und Kyo betraf, wollte Toshi es eigentlich nicht wissen. Es fiel ihm schwer genug, die Gedanken an Isabelle zu verdrängen. Er musste etwas tun, um sicher zu werden, was genau er für sie empfand. Es konnte viel sein, was seine Faszination für diese Frau ausmachte. Bevor er die nötigen Schritte unternahm, um es zu unterbinden, musste er erst ganz sicher darüber sein, was es überhaupt war.
Es klopfte, und nach seiner Aufforderung traten Hi und Tsuki ein. Sie verneigten sich leicht und stellten sich vor seinen Schreibtisch. Toshi setzte sich aufrechter hin. „Was gibt es?“
„Der Zeitpunkt des nächsten Treffens der Clans ist bekannt gegeben worden, Oyabun“, sagte Hi. „In zwölf Tagen soll endgültig entschieden werden, welche Gruppe das Vorrecht in Tokio erhält.“
Toshi runzelte düster die Stirn, als er das Datum hörte. „Yusuri hat das Treffen angesetzt?“, fragte er. Eine Ahnung machte sich in ihm breit.
Hi und Tsuki tauschten einen Blick.
„Sie hat von der Abmachung mit Isabelle erfahren“, murmelte Toshi mehr zu sich selbst. Wieder tauschten die Zwillinge einen Blick aus. Der Yakuza stand auf. „Was ist los?“,
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