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Seidenstadtblues - Niederrhein Krimi

Seidenstadtblues - Niederrhein Krimi

Titel: Seidenstadtblues - Niederrhein Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Renk
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großen Schluck und blickte durch die Glastür zum Garten in die Ferne auf das glitzernde Wasser des Sees. Schön ist es hier in Lüttingen so nahe am Wasser, dachte sie. Es war eine gute Entscheidung gewesen, mit Maarten und den Kindern in den Xantener Ortsteil, in die Nähe der ehemaligen Auskiesung, zu ziehen, die so hohen Freizeitwert zu bieten hat. Wasser ist Leben, ein Element, das Menschen anzieht, begann sie abzuschweifen, bevor sie sich disziplinierte, zurück ins Gespräch zu gehen.
    »Unrechtsbewusstsein, ethische Grenzen, Moralvorstellungen? Das sind dann nur noch Fremdworte. Da kannst du dich nur ducken und aus der Schusslinie bleiben.«
    »Du sprichst in Rätseln.«
    Mutter und Tochter blinzelten sich über den Tisch hinweg mit gekrauster Nase zu.
    »Vielleicht werde ich heute Abend konkreter, denn ich weiß nicht, was unsere Süße alles aufschnappt. Von der Seele reden tut so gut. Jetzt bin ich jedenfalls froh, eine Woche durchatmen zu können. Freie Zeit mit meiner Familie, herrlich.«
    Maarten nickte und ließ sie von seinem Brötchen mit Erdbeermarmelade abbeißen.
    * * *
    Kommissar Nikolas Burmeester und der dienstälteste Kollege Simon Termath waren im Bereitschaftsdienst, als der Einsatz angefordert wurde. Zu einem Unfall mit Toten und Verletzten waren sie gerufen worden, an diesem Samstagmorgen Anfang Mai, einem der friedvollen Frühlingstage mit sonnigem Wetter und löwenzahngelben Wiesen. Das Ausmaß hatte sie erschreckt, kopfschüttelnd liefen sie zum Parkplatz. Der alte Hase hastete dem jungen Spund nach und wollte es genauer wissen.
    »Wie war das? Drei Tote und sieben Schwerverletzte? Das kann doch nur ein Bus gewesen sein. Hat der Diensthabende nichts gesagt?«
    »Nein, nur dass die Einsatzkräfte ein Bild des Grauens vorfanden und die Lage noch lange nicht unter Kontrolle ist. Da muss ein massives Aufgebot an Hilfskräften aus der Region vor Ort sein. Die Streife hat durchgegeben, es könne sich um eine vorsätzlich durchgeführte Tat handeln.«
    »Ein Bus, der in den Graben gesetzt wurde? Absichtlich. Das wäre Mord!« Schwerfällig ließ sich Termath in den Sitz plumpsen und seufzte. »Drei Tote. Und das auf die letzten Tage.«
    Er stand kurz vor dem Eintritt in den wohlverdienten Ruhestand und hatte schon zu Jahresbeginn damit angefangen, seine persönlichen Sachen Stück für Stück mit nach Hause zu nehmen. Die Wand hinter seinem Schreibtisch zierte ein bizarres Muster aus dunklen, rechteckigen Rändern und Nägeln, die nutzlos im Gemäuer staken. Mit jedem Gegenstand, der in seiner altmodischen Tasche verschwand, sank seine Laune, wurde er schweigsamer, ein griesgrämiger alter Wolf auf dem Weg ins Exil. Er habe doch Familie, hatte die Hauptkommissarin ihm gesagt, er habe Ehefrau und Enkelkinder um sich herum, alle würden sich auf ihn freuen. Eben, hatte er geantwortet, das Wort mit heiserer Stimme und hängenden Mundwinkeln noch mehrmals vor sich hin gemurmelt.
    »Wo müssen wir hin?«
    »Bei Xanten an der Ampelkreuzung Richtung Sonsbeck. Auf die Anhöhe zu, wir könnten die Unfallstelle nicht verfehlen.«
    »Auch noch rüber op de schäl Sig.«
    Burmeester verdrehte die Augen.
    Über die neue Rheinbrücke fuhren sie, die rot ummantelten Litzenbündel, die den eleganten Bau kraftvoll trugen, leuchteten im Licht des Vormittags. Simon Termath blickte wehmütig nach links, wo das alte stählerne Brückengerippe noch stand und des Rückbaus harrte.
    »Die hätte auch noch länger gehalten.«
    Jau, dachte Burmeester, und jetzt kommt die Sache mit Winston Churchill, dem einstigen Kriegspremierminister, der bis Wesel-Büderich kam.
    »Erst die alte Pontonbrücke, die ist noch unter der britischen Besatzungsmacht entstanden. Dann folgte die Brücke mit der Eisenkonstruktion, sollte ja nur ‘ne Notlösung sein, die funktionierte dann aber über fünf Jahrzehnte. Erst haben sie zum Kriegsende den Niederrhein plattgemacht und dann wiederaufgebaut. Und jetzt gehört die zum alten Eisen.«
    Nikolas Burmeester sah Termath von der Seite an, zusammengesunken auf dem Beifahrersitz hockend, ein Häufchen Elend. Gleich würde er seufzen, lang und unüberhörbar.
    »Ja, ja, genau wie unsereins, alles abgestempelt zum alten Eisen.«
    Zu Beginn dieser depressiven Phase hatten sie noch versucht, ihn aufzumuntern, Schulterklopfen, kluge Sprüche, Schokoladentafeln auf der Schreibtischunterlage. Das hatten die Kollegen vom K 1 inzwischen jedoch aufgegeben. Es galt die interne Parole, Termath mit

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