Seidentanz
sie.«
»Hier ist Ihr Visum«, sagte Chiune Sugihara. Auf dem Dokument stand auf englisch vermerkt: Transit Visa. Seen for the journey trough Japan to Sarawak, Curaçao or other Netherland colonies. Die Unterschrift lautete: Consul du Japon à Kaunas.
Der Stempel, mit dem kaiserlichen Chrysanthemenwappen versehen, war ebenfalls in französischer Sprache, der Diploma-tensprache, gehalten. Iris fragte den Konsul, was sie zahlen müßte. Er schüttelte den Kopf, mit einem dunklen Schimmer in den Augen.
»Was wäre mit mir, wenn ich aus Ihrer Not ein Tauschge-schäft machte?«
»Wie kann ich Ihnen danken?« flüsterte sie.
Da lächelte er.
»Ich stellte Ihnen nur ein Visum aus. Das gehört zu meiner konsularischen Tätigkeit. Bürden Sie sich keine Last der Dankbarkeit auf. Denken Sie an Ihre Rettung.«
Iris nahm die Papiere, die er ihr reichte. Sie war sehr blaß geworden; ihre Lippen zitterten. Plötzlich taumelte sie, griff sich an die Stirn. Gerade da wurde leise an die Tür geklopft, und eine Japanerin betrat das Büro. Sie war einfach, aber ge-schmackvoll gekleidet. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht, eine hohe Stirn und dichtes braunes Haar, eingerollt in eine Schnek-kenfrisur. Sie trug ein Lacktablett mit einer kleinen Teekanne, einer Zuckerdose und einer Tasse, das sie behutsam auf den Schreibtisch stellte.
»Meine Frau Yukiko«, sagte Sugihara.
Sie deutete eine Verbeugung an. Ihre Augen schimmerten freundlich und klug. Als sie sah, wie bleich und müde Iris wirkte, sagte sie auf englisch:
»Kommen Sie doch mit mir. Etwas Warmes wird Ihnen guttun.«
Der Konsul verneigte sich zum Abschied; die Bewegung war ungezwungen, voller Stolz und zugleich voller Melancholie.
Der nächste Flüchtling, weißhaarig, zitternd, betrat schon das Zimmer – und draußen warteten Tausende.
Yukiko Sugihara führte uns in ein kleines, behaglich eingerichtetes Wohnzimmer.
»Bitte, nehmen Sie Platz. Was kann ich Ihnen anbieten?«
»Wenn Sie Tee haben, nehme ich gern eine Tasse«, sagte Iris.
Ihre Wimpern flatterten; Schweißtropfen perlten an ihrer Stirn.
»Er ist schon kalt«, meinte Yukiko Sugihara. »Ich lasse frischen bringen.«
»Das ist nicht nötig.«
»Aber doch. Bei Kopfschmerzen helfen nur heiße Getränke.«
»Ich danke Ihnen, Sie sind so gütig«, sagte Iris leise.
Die Japanerin gab Anweisungen. Ein paar Minuten später kam ein Dienstmädchen, brachte ein Silbertablett mit Tee, Zucker und Milch. Frau Sugihara entschuldigte sich.
»Es tut mir leid. Wirklich guten Tee bekommt man jetzt nicht mehr. Und die Milch ist aus der Dose.«
Sie saß uns in anmutiger Haltung gegenüber. Sie hielt den schmalen Rücken kerzengerade; ihre kleinen, gepflegten Hände waren im Schoß gefaltet. Teilnahmsvoll fragte sie meine Mutter, ob sie krank sei. Iris erzählte, daß sie unter den Kopfschmerzen schon seit Monaten leide.
»Die Schmerzen sind schlimm, als ob das Gehirn gegen die Augäpfel drückt. Oft sehe ich alles verschwommen. Beim Erwachen gehorchen mir die Muskeln nicht mehr. Lea reibt meine Schultern, meine Gelenke. Sie zieht mich an den Händen hoch. Erst nach einer Weile bin ich zum Aufstehen fähig. «
»Haben Sie Fieber?«
»Ja, ständig. Es geht nie ganz weg.«
»Sie brauchen ärztliche Pflege«, sagte Frau Sugihara. »Und Sie sind todmüde. Darf ich fragen, wo Ihre Familie ist?«
Der heiße Tee hatte Iris etwas aufgemuntert. Mit stockenden Worten faßte sie die Ereignisse der letzten zwei Jahre zusammen: die Festnahme meines Vaters, unsere Flucht nach Polen, Amos’ Tod in den Folterkammern der Gestapo, das traurige Los der Großeltern. Yukiko Sugihara hörte zu, voller Mitgefühl.
»Vielleicht ist Ihr Mann noch am Leben?«
Iris schüttelte den Kopf.
»Nein, ich habe jede Hoffnung aufgegeben. Die Gestapo hat ihn umgebracht. Er hatte zu mir gesagt: ›Wenn sie mich holen, erwarte nicht, mich wiederzusehen. Denke an die schönen Jahre, die wir hatten. Verlasse Deutschland und beginne ein neues Leben.‹ Wozu? Was habe ich noch zu erwarten? Aber Lea ist da. Für sie kämpfe ich; nicht für mich.«
Ein Schauer lief durch ihre schmale Gestalt; ihre schmerzer-füllten Augen waren ins Leere gerichtet. Die Japanerin brach mit einem tiefen Seufzen das Schweigen.
»Wir leben in einer schrecklichen Zeit. Und es wird noch schlimmer kommen… «
Sie fragte, ob wir Verwandte in Amerika hätten.
»Nur Freunde«, sagte Iris, »aber sie werden uns helfen.«
»Und in Japan?«
Iris sagte, nein, da kenne sie
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