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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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verstummte. Sugihara sagte:
    »Ich wiederhole es nochmals: Die Visa werden ausgestellt.
    Ich bitte Sie nun, Geduld zu bewahren. Wir werden viel Zeit sparen, wenn Unruhe vermieden wird.«
    Er neigte den Kopf zum Gruß, war im Begriff, sich zurück-zuziehen; da erblickte er Iris, hochaufgerichtet in der Menge.
    Das aufgelöste rotblonde Haar hing in Strähnen um ihr blasses Gesicht. Einen Herzschlag lang trafen sich ihre Augen. Dann wandte Sugihara sich ab, betrat mit schnellen, leichten Schritten das Haus, in dem nun – in jedem Raum – die Lichter angingen.
    Vor dem Konsulat standen jetzt die Flüchtlinge Schlange.
    Angestellte hatten den Auftrag, sie durch die Garage statt durch das Haupttor zu führen; so wurde der Andrang vermieden.
    Später, als die Masse kaum noch aufzuhalten war, ließ der Konsul numerierte Karten verteilen. Iris schätzte, daß wir wohl den ganzen Tag ausharren mußten, so viele Menschen waren vor uns. Doch kaum eine Stunde war vergangen, als ein Militärposten das Tor öffnete. Ein Beamter trat hinaus, zwängte sich durch die dichte Masse der Wartenden. Männer hielten ihn auf, bestürmten ihn mit Fragen. Der Beamte, ein kleingewachsener Japaner, ließ sich nicht aufhalten, wies die Aufgeregten freundlich, aber bestimmt zurück. Er suchte mit den Augen die Menge ab, erblickte uns und kam auf uns zu. Obwohl die Sonne schien, war die Morgenluft kühl. Iris saß erschöpft und zäh-neklappernd am Boden. Sie richtete sich auf, indem sie sich an mir festklammerte. In korrektem Polnisch richtete der Beamte das Wort an sie:
    »Der Herr Konsul meint, daß Sie wohl müde seien. Er bittet Sie, mir Ihre Papiere auszuhändigen. Kommen Sie morgen um zehn, Ihr Visum wird bereit sein. «
    Wir starrten ihn an; der junge Mann hielt den Kopf gesenkt, so daß wir nur sein schwarzes Haar erblickten. Wortlos nestelte Iris ihre Tasche auf, reichte ihm, was er wünschte. Der Japaner verbeugte sich abermals und ging davon, wobei er sich mit ruhiger Beharrlichkeit durch die Menge schob. Als sich das Gitter hinter ihm geschlossen hatte, stieß Iris einen seltsamen Laut aus. Ein tiefer Seufzer, wie Kranke ihn manchmal hören lassen, kam aus ihrem Mund. Sie tastete nach meiner Hand.
    »Komm, Lea. Wir gehen schlafen.«
    27. Kapitel
    W er Geld hatte, konnte in Kaunas eine Unterkunft finden.
    Iris hatte einen kleinen Brillantring verkauft. Das Zimmer, in das man uns führte, war dürftig, aber nicht ungepflegt: ein Bett, ein Tisch, ein Stuhl. Es roch nach abgestandener Luft, aber das Bettzeug war sauber. Ein Krug und eine Waschschüssel waren vorhanden, Seife gab es seit Monaten nicht mehr. Der Preis war unverschämt hoch, aber Iris zahlte ohne Widerspruch. Sie ließ sich auf das Bett fallen; ich zog ihr die Schuhe aus, ihre Strümpfe waren durchlöchert und die Blasen kaum verheilt. Sie schlief schon, als ich ihre Füße auf das Bett hob. Iris schlief den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht. Manchmal stöhnte sie im Schlaf, griff sich an den Kopf. Ich hatte Brot und Milch kaufen können. Als Iris am nächsten Morgen erwachte, trank sie die Milch und fühlte sich ein wenig kräftiger. Endlich konnten wir uns waschen, wenn auch nur unzureichend. Hinterher war das Wasser mit einer dunkelgrauen Schmutzschicht bedeckt. Wir entfernten den Staub von unseren Kleidern. Iris frisierte sich sehr sorgfältig. Sie warf einen Wollschal über ihren abgetragenen Mantel, bevor wir uns auf den Weg zum japanischen Konsulat machten. Der Beamte erwartete uns hinter dem Tor. Die Menge starrte uns an, und vor uns tat sich eine Gasse auf. Iris ging wie eine Königin. Ihr aufgestecktes Haar, funkelnd wie Kupfer im Sonnenschein, erinnerte mich schmerzlich an Amos. Wie schön sie war! Der Beamte verneigte sich, geleitete uns durch den Vorhof. Als wir durch die Hallentür traten, umfing uns wohltuende Ruhe. Das Büro des Konsuls, im Zwischengeschoß, war schlicht eingerichtet. Bücher und Aktenordner häuften sich in Regalen, und an die Wände waren Landkarten geheftet. Der Konsul, der hinter einem Schreibtisch saß, erhob sich, als meine Mutter hereinkam. Er lächelte ihr zu: ein Lächeln, das kaum die Lippen streifte, aber bis zu den schmalen Augen wanderte, die warm und voller Güte aufleuchteten. Er fragte, ob wir uns gut ausgeruht hätten.
    »Ja, ich danke Ihnen«, antwortete Iris.
    »Sie waren gestern sehr müde.«
    Sie lächelte ihr wunderbares Lächeln.
    »Heute fühle ich mich besser.«
    »Ihre Tochter ist sehr mutig.«
    »Ja, das ist

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