Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
brausten über das Meer, die Wellen schäumten.
    Schon bald waren viele Menschen seekrank. Doch als die Harbina-maru die sowjetischen Gewässer verließ, richteten sich alle auf, auch die Schwachen und Kranken, hoben die Arme zum Himmel und stimmten einen Gesang an. Ich weiß nicht, welches Lied sie sangen, Iris hatte es mir nie beigebracht. Der machtvolle Chor erfüllte die Wellentäler; es schien, als klänge aus ihm die Stimme des Windes, das freie Rauschen der Wogen, emporgetragen bis zu den Wolken, bis zu den Sternen, auf den Flügeln dieses Gesanges.
    Die See ging hoch und hart, das Schiff brauste mit breiter Bugwelle dahin. Der Wind schnitt wie ein Messer. Doch später, in den japanischen Gewässern, leuchtete das Meer blau; es gab keine brutalen Wellen mehr. Die See schaukelte sanft und mütterlich, atmete ruhig, mit glucksenden Geräuschen. Die Flüchtlinge drängten sich an Deck, sahen zu, wie das Land allmählich aus dem Dunst wuchs. Blaues Licht umhüllte den Küstenstrei-fen, ein azurfarbener, lebender Glanz, und ich dachte an meinen Traum, an die Insel der Schwertlilien, die Amos nicht erreichen konnte. Und selbst, als der Hafen Tsuruga in Sicht kam, mit seinen Kriegsschiffen und Tankern, seinen rollenden Kränen, Lagerhäusern und Docks, seiner rußgeschwärzten, nach Koh-lenoxid und Maschinenöl stinkenden Luft – selbst da begleitete mich mein Traum. Der Zauberschein wich nicht vor meinem inneren Auge. Er blieb, wie eine Hellsicht der Liebe, und wird auch ewig bleiben.
    28. Kapitel
    W as danach geschah, ist dir bekannt, Hanako. Ich schreibe es trotzdem auf, weil es dich betrifft. Du weißt, daß wir von Tsuruga nach Kobe gebracht wurden, in ein Auffanglager. Dort betreute uns die jüdische Gemeinde. Die japanischen Mitglieder der christlichen Gruppe Holyness brachten Gemüse und frisches Obst. Unsere Kleider waren in entsetzlichem Zustand.
    Eine Japanerin wusch und flickte die Kleider, auch die Unterwäsche. Wir konnten uns mit dieser Frau nicht verständigen, aber sie trug unter ihrem Kimono ein kleines Kreuz, das sie uns zeigte. Nathan Goldstein ließ Iris und mich nicht im Stich; er verhandelte und buchte für uns die Überfahrt von Kobe nach New York; die Reise kostete vierzig Dollar. Goldstein fuhr mit dem gleichen Schiff, was für Iris eine große Beruhigung war.
    Doch am Abend vor der Abreise, als wir unsere Habseligkeiten packten, stöhnte Iris laut auf, hob die Hand an die Stirn und sank ohnmächtig zu Boden. Ihre Augen schwammen unter den Lidern, ihr ganzer Körper wurde von schmerzhaften Krämpfen geschüttelt. Ein japanischer Arzt untersuchte sie, machte ein ratloses Gesicht, gab ihr eine Injektion. Ich teilte Nathan Goldstein mit, daß meine Mutter nicht reisen konnte. Goldstein verkaufte unsere Karten, gab mir das Geld zurück und sprach mir Mut zu.
    »Deine Mutter kann gesund werden. In Amerika haben sie gute Ärzte. Und du wirst Freunde finden, die dir helfen. Gott segne dich.«
    So nahmen wir Abschied. Ich setzte mich zu Iris und hielt ih-re Hand, fühlte das Fieber in ihren Adern klopfen. Am Morgen kam sie zu sich, bat um Wasser. Sie trank gierig, mit geschlossenen Augen. Ihre Stimme war nur ein heiseres Flüstern.
    »Wie spät ist es? Wann müssen wir am Hafen sein?«
    Ich sagte, das Schiff sei vor drei Stunden abgefahren. Da fiel sie auf ihr Lager zurück, weinend. Ihre Augen waren blutunter-laufen, ihre Wangen gerötet. Sie klebte vor Schweiß, erbrach sich, besudelte ihre Pritsche. In dem Lager befanden sich über zweitausend Menschen. Die herzzerreißende Ansammlung von Leid hatte Ärzte und Krankenschwestern gelassen gemacht. Für sie gab es dringendere Fälle: Säuglinge kamen zur Welt; Wundbrand verlangte Injektionen. Die Flüchtlinge litten an Tuberkulose, Dysenterie und Ruhr. Täglich traten Todesfälle ein. Eine Krankenschwester gab mir einen Blecheimer mit Wasser. Ich wusch Iris, säuberte ihr Lager. Bald sank sie in Schlaf, nein, es war eher eine tiefe Bewußtlosigkeit; jeder Nerv, jede Empfindung schien abgetötet. Ich dachte: So geht es nicht weiter! Yukiko Sugihara fiel mir ein. Nach längerem Suchen fand ich die Adresse, die sie uns gegeben hatte. Eigentlich war es den Transit-Flüchtlingen verboten, das Lager zu verlassen.
    Die Japaner nahmen diese Vorschrift sehr genau, das Lager wurde bewacht. Aber ich war nicht um eine Finte verlegen und benutzte einen Augenblick der Konfusion, als man unter Wehklagen und Geschrei die Leiche eines alten Mannes fortschaff-te, um

Weitere Kostenlose Bücher