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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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einen Weg; Yukiko Sugihara hielt Hiroki an der Hand; der jüngste Sohn lag in den Armen eines Kindermädchens. Dienstboten kümmerten sich um das Gepäck; unter dem Gefolge entdeckte ich auch den jungen Beamten, der uns in das Konsulat gebracht hatte. Der Konsul war kaum wiederzuerkennen: abgemagert, hohlwangig, mit geröteten Augen. Die Flüchtlinge bestürmten ihn, flehend und schluchzend. Unermüdlich, fast mechanisch, schrieb er Passierscheine, schrieb sie noch, als er bereits auf dem Tritt-brett stand und die Militärwachen die Menge zurückstießen.
    Und als Sugihara im Abteil war, zog er das Fenster herunter, schrieb unausgesetzt Passierscheine, die er den Schreienden auf dem Bahndamm reichte. Plötzlich ließ die Lokomotive ein Zischen hören. Ein Ruck bewegte den Zug. Die Menge wich zurück, ein paar Frauen kreischten – ganz plötzlich wurde es still. Und in dieser Totenstille, nur von vereinzeltem Schluchzen unterbrochen, klang die schmerzvolle, erschöpfte Stimme des Japaners.
    »Bitte, verzeihen Sie mir. Ich kann nicht mehr schreiben. Ich bete für Ihre Rettung. «
    Und er verneigte sich tief vor jenen, die er ihrem Schicksal überlassen mußte. Da bewegten sich die Räder auf den Schienen.
    Und die Hunderte auf dem Bahndamm fingen wieder zu schreien an. Ihre Stimmen dröhnten durch die überfüllte, rauchgeschwärzte Halle. Die einen riefen: »Nippon Banzai!«, die anderen: »Sugihara, wir werden Sie niemals vergessen!«
    Das Schluchzen der Verzweifelten mischte sich in die Se-genswünsche der Geretteten. Jubel und Tränen galten dem Mann, der den Mut aufgebracht hatte, Verantwortung zu tragen und Gerechtigkeit zu üben. Und die unter ihnen, welche noch die Kraft hatten, liefen eine Strecke neben dem schneller fahrenden Zug her. Sie winkten zum Fenster hinauf, hinter dem Sugihara und seine Familie standen, warfen ihre Mützen in die Luft und riefen seinen Namen. Und dann blieben sie stehen und weinten und starrten dem Zug nach, der sich langsam entfernte, immer dunkler und kleiner wurde und schließlich verschwand.
    »Sugihara hat über viertausend Visa ausgeschrieben«, sagte Nathan Goldstein. »Und da ein Visum für eine ganze Familie gültig ist, hat er mehr, viel mehr Menschen das Leben gerettet.
    Die Juden werden ihn niemals vergessen. Denn der Name eines Gerechten wird bei uns in Ehren gehalten. Unsere Kinder und Kindeskinder werden sich an ihn erinnern.«
    Als Zeitungsherausgeber kannte er das Druckverfahren und hatte eine Anzahl Passierscheine kopiert. Später erfuhr ich, daß eine große Anzahl Flüchtlinge mit diesen gefälschten Papieren die Sowjetunion verlassen konnten. Im Land herrschte eine große Unordnung, die fähigen Soldaten waren an der Front. Die Kontrollen wurden von Männern vorgenommen, die ein offizielles Schreiben von einer Fälschung nicht zu unterscheiden vermochten.
    Ich hatte Nathan Goldstein am Bahnhof getroffen, als ich mich verzweifelt um eine Fahrkarte bemühte. Goldstein besorgte mir die Karte; einer der letzten Züge, die durchgelassen wurden, verließ Kaunas in den frühen Abendstunden. Mit Goldsteins Hilfe schoben wir uns in den vollbesetzten Güterwagen.
    Die Abfahrt wurde um mehrere Stunden verschoben. Es war mitten in der Nacht, als sich der Zug mit Rasseln und Zischen stoßweise in Bewegung setzte. Die Reise sollte zwei Wochen dauern. Zwei Wochen, in denen wir, eingepfercht im Dunkeln, durch die endlosen, von eisigen Winden gepeitschten Ebenen Sibiriens rollten. Das Geräusch der Räder hörten wir nicht mehr, sondern nahmen es mit dem Körper wahr. Hin und her gingen unsere halbgedachten Gedanken, vor- und rückwärts auf dem Rasseln der Räder, bis dieses Rasseln zu einem Rhythmus wurde, der aus unserem tiefsten Inneren aufstieg. Wir sahen Bilder, die kein Gefühl in uns weckten, verloren die Fähigkeit, Stunden und Tage abzumessen, traten in eine neue Art von Leben ein, in ein erweitertes Selbst, das unser Herz bedrängte.
    Wurden die Türen aufgerissen, strömte Sonne oder kalte Luft in die Dunkelheit, taumelten wir wie die Nachtfalter oder erbrachen uns. Unsere Notdurft verrichteten wir, wo wir konnten, im Wagen selbst oder auf den Gleisen, wenn der Zug in Stationen hielt. Manche verloren den Verstand.
    In Wladiwostok verhalf uns Goldstein zu einem Platz auf dem japanischen Dampfschiff. Viele weinten, als die Schiffsi-rene ihre Abschiedsrufe ausstieß, als die Laufbrücke eingezogen wurde und die Schlepper das Schiff vom Festland zogen.
    Herbststürme

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