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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Streifzüge zu begeben.«
    31. Kapitel
    A ls Kunio sich auf den Weg zum Dachsbau machte, war die Luft drückend und schwer, erzählte er mir. Kein Windhauch regte sich, sogar die Nachtvögel schwiegen. Nur Grillen zirpten, und unter den Büschen schimmerten Leuchtkäfer. Der Herbstmond, groß und golden, wanderte durch Wolkenschleier.
    Der Geruch von Harzen, wildem Wein und Brombeeren mischte sich in der Luft. Kunio ging rasch aufwärts. Der Weg war steil, aber der Dachsbau befand sich ganz in der Nähe. Kunios Füße glitten geräuschlos über den Pfad. Im Mai waren zwei Junge zur Welt gekommen; sie hatten Kunio von Anfang an gekannt. Nun waren sie besonders zutraulich, tollten in seiner Nähe herum und ließen sich von ihm streicheln. Doch diesmal wartete der Junge vergeblich. Die Tanuki ließen sich nicht blicken. Warum wohl? überlegte Kunio. Ob sie das Gewitter fürchteten? Aber da war noch ein zweites Loch, bergaufwärts.
    Kunio machte sich auf den Weg dorthin. Schwarze Wolkenge-stalten näherten sich dem Mond; Wetterleuchten blitzte hinter den Baumkronen auf. Kunio beachtete nicht, was am Himmel vor sich ging. Er fühlte sich, wie immer in solchen Nächten, treibend und schwebend. Die Luft war so schwer, daß er sie wie eine Berührung an der Haut empfand. Der Aufstieg war steil. Bald waren seine Wangen erhitzt, das Herz schlug ihm in der Kehle. Doch seine Ausdauer wurde belohnt: Weiter oben am Hang vernahm er das Rascheln von Blättern und kleine, quietschende Laute. Die Dachse waren aus ihrem Bau geschlüpft, spielten und balgten sich wie übermütige Hunde, rollten geschmeidig über das federnde Nadelbett. Kunio kauerte sich nieder und beobachtete sie, während das Wetterleuchten immer greller zuckte. Die Wolkenfront hatte den Mond bedeckt, war unaufhaltsam in die Höhe und in die Breite gewachsen. Der aufkommende Wind trug ein verhaltenes Grummeln herbei. Zuerst war der Wind nur ein Flirren in den Büschen.
    Ein Ast knirschte, dann ein anderer. Zweige bogen sich, trok-kenes Laub raschelte. Dann begannen die Baumkronen zu rauschen. Es klang feierlich wie das Meer. Nach und nach verstärkte sich das Grummeln. Zuweilen flackerten Blitze auf, und das Baumgewirr stand schwarz wie ein Scherenschnitt am Himmel. Das Gewitter kam näher. Die Dachsfamilie verschwand in ihrem Bau. Es wurde Zeit, daß Kunio sich auf den Heimweg machte. Doch er kauerte im Dickicht und rührte sich nicht. Der ganze Berg war von Seufzen und Knarren und Knirschen erfüllt. Hoch über die Lichtung wirbelten Wolken wie Strudel. Kunio spürte, wie die Erde sich im Raum um sich selbst drehte. Der Wind saugte ihn auf, hob ihn in schwindelnde Höhen; das Traumboot schaukelte und segelte durch die Baumkronen. Die Kiefern rauschten wie die Brandung, die donnernde Sturzflut widerhallte in seinen Ohren. Hohe Äste knarrten langsam und mächtig, wie Schiffsmasten bei starker Dünung. Obwohl der Sturm die Bäume schüttelte, war noch keine Abkühlung zu spüren. Schwer und atembeklemmend drückte die Luft. Die Blitze zuckten gleichzeitig von allen Seiten. Einige sahen aus wie Schlangen, andere wie Spinnen-netze; giftig grüne Feuerkugeln sprangen von Wolke zu Wolke.
    Erst, als die ersten Regentropfen fielen, riß sich Kunio aus seiner Erstarrung. Die Tropfen rieselten von Blatt zu Blatt. Es klang wie das Nagen der Seidenraupen, die einige Bauern in ihren Häusern züchteten. Im Schein der Blitze funkelten Glanz-lichter auf, der ganze Wald war von Sprühfunken erfüllt. In ein paar Minuten war Kunio triefend naß; er trug nur seinen Schlafanzug und Turnschuhe; aber die Luft war so schwül, daß er den Regen als wohltuend empfand. Doch inzwischen war ihm bewußt geworden, daß er nur ein kleiner Junge war, und daß der Wald sich in eine wilde, finstere Welt verwandelt hatte.
    Der angeschwollene Bach schäumte und gurgelte. Unter der prasselnden Regenwand wurde der Lehmboden glitschig. Kunios Turnschuhe rutschten im Schlamm aus. Er verlor den Halt, stürzte ein paar Meter in die Tiefe. Er krallte sich an Zweigen fest, kam mühsam wieder auf die Beine. Sturmwind und Donner erfüllten den Raum mit krachenden, reißenden und brüllenden Geräuschen. Die Donnerschläge ließen an Bergstürze denken, an Erdrutsche und klaffende Spalten. Der Lärm war entsetzlich, ohrenbetäubend; die Welt trieb zwischen den Gestirnen dahin, und während sie sich drehte, überflutete ein Ozean den Berg. Bei jedem Donnerschlag duckte sich Kunio; sein Körper krümmte sich

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