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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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erfüllte.
    »Ich sagte schon, daß ich ein einsames Kind war. Die Einsamkeit machte mich nicht unglücklich. Meine besondere Liebe galt den Tieren. Für mich waren Tiere Wesen, die mir irgendwie gleich waren. Nicht nur Jiro, unser Hund, oder die vielen Dorfkatzen, die ihr Gesicht an meiner Wange rieben. Nein, da waren auch andere Tiere: Vögel, zum Beispiel, die furchtlos herbeiflogen, Körner aus meiner Hand pickten. Schmetterlinge setzten sich auf meine Schultern, Eichhörnchen spielten ganz zutraulich in meiner Nähe. Eine Zeitlang fütterte ich ein Fuchs junges, bis die Füchsin es holen kam. Man kann die Tiere sehr genau kennen, das hat damit nichts zu tun. Ich hatte den Tieren nie etwas Böses getan. Ich verstand die Tiere, und die Tiere verstanden mich. Da, schau her!«
    Geschmeidig ging er in die Knie, schob behutsam einen Busch auseinander. In der lockeren, kräftig riechenden Erde kam ein trichterförmiges Loch zum Vorschein. Ich sah Kunio fragend an.
    »Ein Dachsbau. Hier wohnen Tanuki – Tiere, die in unserer Mythologie Glück und Fruchtbarkeit bringen.«
    »Wie tief ist der Bau?«
    »Kilometerweit. Und er ist mehrere hundert Jahre alt.«
    »Man kann es kaum glauben!«
    Er richtete sich auf, warf mit gewohnter Bewegung das Haar aus der Stirn.
    »Die Galerien gehen durch den ganzen Berg. Mir war ein Tanuki mit einer Ohrverletzung aufgefallen. Dasselbe Tier sah ich später auf der anderen Bergseite aus einem Loch kriechen.
    Dachse sind sehr menschenscheu. Mich jedoch akzeptierten sie.
    Ich sah zu, wie die Eltern mit ihren Jungen herumtollten und spielten. Dachse zeigen sich nie bei Tag. So nahm ich die Gewohnheit an, nachts, wenn alle schliefen, das Haus zu verlassen. Bei Mondschein schienen alle meine Nerven zu vibrieren; mein Gehör und meine Sicht verschärften sich. Ich hörte jedes Knistern der Blätter, hörte das Wasser über die Steine tropfen, durch die Erde sickern. Ein Fuchs bellte, eine Wachtel schlug, ein Käuzchen schrie weich und dumpf. Im Bach spielten kleine, mondsüchtige Fische, ich sah die winzigen Wasserfontänen aufsprühen und zusammenfallen. Der Geruch nach Fichtenna-deln, Moos und wilden Beeren mischte sich in der Luft. Es gab einen verwilderten Kater im Wald. Er wurde mein Freund. Er hatte steif abstehende Barthaare und Augen, die wie Bernstein funkelten. Lautlos strich er durch die Büsche. Seine Pupillen weiteten sich und zogen sich dann wieder zusammen. Wenn ich mich ganz ruhig verhielt, kam er zu mir, schnurrend, streichelte mein Gesicht mit seinem buschigen Schwanz. Manchmal frage ich mich, ob ich damals nicht schlafwandelte. Ich glaube jedoch, daß es nicht so war. Ich entsinne mich zu genau, wie ich nachts aus meinem Futon kroch, behutsam das Schiebefenster öffnete, nach draußen sprang. Am schönsten war es, wenn es geregnet hatte. Meine Lungen zogen die feuchte, geschmeidige Luft ein. Die Mondsichel, geschwungen wie ein Schwert, teilte die Wolkenfetzen; Regentropfen hingen in den Zweigen, gleich Diamantengespinst; die ganze Welt schwamm durchnäßt im Wasser. Ich glitt durch die Dunkelheit, gewichtlos wie ein Geist auf dem Seegrund. Auf meinen Streifzügen begegnete ich nie einem menschlichen Wesen, auch nicht bei Tag. Das hatte seinen Grund. Die Legende von der Prinzessin und dem Schlangengott beruht auf einer Folgerichtigkeit: Die Löcher im Gestein, die Sümpfe, der sommerliche Hitzedunst ziehen Schlangen an. Ich war zu ihnen sehr zutraulich, beobachtete sie, wenn sie sich auf einem Stein sonnten oder ihre Ringe langsam durch die Büsche rollten. Einige Sorten waren giftig. Ich jedoch dachte, wenn ich nichts Böses im Sinne habe, werden sie mir nichts tun. Meine Eltern wußten nichts von diesen Streifzügen; sie wunderten sich lediglich, daß ich tagsüber müde war, im Unterricht döste und über meinen Schulaufgaben einschlief.
    Daß ich träge und blaß war, schob man auf mein Wachstum.
    Auch meiner Abneigung gegen Fleisch begegnete man mit Nachsicht. Japaner haben sich lange Zeit nur von Fisch ernährt, weil die buddhistische Religion das Töten von warmblütigen Tieren verbietet. Kaum ein Jahrhundert ist es her, daß in Japan Fleischnahrung eingeführt wurde. Meine Eltern waren eine konservative Familie; und so nahm niemand daran Anstoß, daß ich kein Fleisch essen wollte. Ich aber wußte aus dem Gefühl heraus, daß meine Magie eine Magie der Tiere war, etwas Angeborenes. Die Tiere beschützten und liebten mich; ich wollte meine Unschuld bewahren; dies mochte

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