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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Namen nicht in den Griff gegraben, obgleich dies unter den Schwertschmieden Brauch war. Das Schwert diente ja nicht seinem eigenen Ruhm, und sein Name war der Gottheit bekannt. «
    »Welcher Gottheit?« fragte ich.
    »Sie wohnt unter den Steinen, geht durch Himmel, Erde und auch unter der Erde hindurch. Sie stellt den Sonnenkreis und den Ursprung des Lebens dar. Sie ist männlich und weiblich zugleich, das zutiefst Uralte in uns, das Geheime.«
    Er sprach halb im Ernst, halb im Scherz, so daß ich nicht klug aus ihm wurde.
    »Kunio, du sprichst in Rätseln!«
    Das Lächeln, das so unbestimmt, schüchtern und voller Charme war, kam abermals auf seine Lippen.
    »Willst du sie sehen?«
    Seine Heiterkeit steckte mich an.
    »Die Gottheit? Aber mit Vergnügen!«
    »Komm!« sagte er. »Nur wenige haben sie bisher zu Gesicht bekommen, aber vielleicht zeigt sie sich uns.«
    Er stieg über die Felsbrocken, glitt unbefangen und zielsicher unter der heiligen Schnur hindurch. Der Ort war ihm vertraut.
    Ich zögerte kurz, befragte die Schwingungen und erkannte keine Drohung. Vielleicht mochte es an Kunio selbst liegen, aber die Macht – wer immer sie auch war – war mir wohlgesonnen. Inzwischen kletterte Kunio ein Stück aufwärts und winkte mich heran. Er deutete auf ein Loch im Gestein, gab mir ein Zeichen, mich nicht zu rühren. Er kauerte sich vor dem Spalt nieder, hielt zwei Finger an die Lippen und begann zu pfeifen. Der erste Ton war kurz und deutlich, doch ohne Schär-fe. Als wollte er sagen: »Hör mir zu!« Dann pfiff er weiter, sanft und melodisch. Ein paar Atemzüge lang regte sich nichts.
    Plötzlich erstarrte ich: Zwischen den Steinen bewegte sich etwas. Tief im Schatten sah ich Windungen, fast armdick, die sich krümmten und hoben. Mein Atem setzte aus, mein Herz sprang hart an die Rippen.
    Plötzlich kam mir alles ganz unwirklich vor. Kunio pfiff noch immer, im zärtlich lockenden Ton. Wie von einem unsichtbaren Faden gezogen, entrollten sich die Ringe, wälzten sich aus dem Spalt. Ein flacher Kopf hob sich, blaß mit einem grünlichen Schimmer. Die Augen waren wie schwarze Punkte, fast ebenso groß wie menschliche Pupillen. Das Maul der Schlange war geschlossen, dazwischen aber zuckte eine gespaltene Zunge hin und her, während sie ihren Kopf nach der Melodie wiegte. Das dauerte eine ganze Weile. Schließlich nahm Kunio behutsam das kleine Honiggläschen aus der Tasche, drehte den Deckel auf. Mit Hilfe seines Taschenmessers kratzte er den Honig heraus und häufte ihn in eine kleine Felsvertie-fung vor dem Loch. Der Schlangenkopf streckte sich vor. Das Tier tauchte seine Zunge in den Honig und leckte die Gabe. Ich wagte kaum zu atmen. Als von dem Honig nichts mehr übrig war, zog sich die Schlange zurück; die Windungen schienen gleichsam in den Felsen zu tauchen, mit ihm zu verwachsen.
    Als ob der Stein selbst, für kurze Zeit lebendig geworden, nun wieder zu Finsternis erstarrte. Erst jetzt wandte mir Kunio das Gesicht zu.
    »Unglaublich!« flüsterte ich.
    Er jedoch lächelte entspannt.
    »Ja, sie hat mich nicht vergessen. Nach so langer Zeit!«
    »Sie ist sehr groß. Wie alt mag sie sein?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht ein paar hundert Jahre. Sie ist die Alt-Göttin der Schmiede, ihre Urmutter und Beschützerin.«
    Ich wischte mir den Schweiß aus dem Gesicht.
    »Hattest du nie Angst vor ihr?«
    Er setzte sich auf einen Stein, und ich setzte mich neben ihn.
    »Angst? Nein, eigentlich nicht. Ich war elf, als diese Geschichte passierte. Das ist ein besonderes Alter. Die Welt der Erscheinungen ist noch da, aber die Welt der Erwachsenen kommt täglich näher, und manche Kinder fürchten sich davor.
    Ich weiß noch genau, es war im Spätsommer und drückend heiß. Hanako war zu Besuch gekommen; wir hatten sie am Bahnhof von Nara abgeholt. Erschöpft von der Reise hatte sie sich frühzeitig in die Kissen begeben. Der Abend brachte keine Abkühlung. Der Wetterbericht hatte Sturm angesagt. Beim letzten Lichtschimmer verwandelte sich das Grün der Hügel in Violett unter den dunklen Wolken, die am Himmel aufstiegen.
    Vor dem Schlafengehen hatte Akemi die Vorder- und Küchentür zugeriegelt. Sie schloß auch die Amados, die hölzernen Schiebetüren, die zum Schutz gegen stürmisches Wetter angebracht waren. Aber ich hatte dafür gesorgt, daß in meinem Zimmer etwas Raum zwischen den Amados blieb. So konnte ich sie lautlos zurückschieben. Als alles still war, verließ ich das Haus, um mich auf meine nächtlichen

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