Seidentanz
Ich erwachte davon, daß ich Stimmen hörte, und schlug verwirrt die Augen auf. Irgendwo im Wald wurde laut gerufen. Es war bereits hell; rosa Wolkenschleier zogen vorbei, Sonnenlicht funkelte durch die Zweige. Noch war ich nicht gänzlich wach.
Ich hatte das seltsame Gefühl, daß ich unter einer schweren, klammen Decke lag, die sich im Rhythmus meiner Atemzüge emporhob. Sie begleitete diese Bewegung, als wiege sie mich, bedeckte aber nur den oberen Teil meines Körpers, während sich die angewinkelten Beine wie abgestorben anfühlten. Mit einem Mal kehrte mein Bewußtsein zurück. So desu! Die Schlange. Ich blieb bewegungslos, um ihr keine Furcht einzu-jagen. Was nun? Hatte ich die Stimmen vielleicht nur ge-träumt? Angestrengt lauschte ich. Zwar war das Rauschen des Bachs in meinen Ohren, und die Rufe klangen undeutlich, aber sie waren da und kamen näher. Plötzlich raschelte Unterholz.
Männer betraten die Lichtung. Die Sonne schien mir in die Augen; zuerst konnte ich ihre Gesichter nicht sehen. Dann erkannte ich meinen Vater, zwei Polizisten aus dem Dorf und den alten Takeuchi, einen Holzfäller, dem die Wälder vertraut waren. Im selben Augenblick erblickten sie mich, mit der Schlange auf der Brust, gerade als sie ihre Ringe anzog und mich in erstickender Umarmung packte. Sie krümmte sich, richtete sich auf wie ein Stock. Ihre gespaltene Zunge zischte.
Doch ihre Drohgebärde galt nicht mir, sondern den Eindring-lingen. Diese standen wie gelähmt, Mund und Augen vor Entsetzen aufgerissen. Ich wollte ihnen zurufen, sie sollten keine Angst haben, die Schlange sei gut zu mir, doch die Ringe schnürten mir die Kehle ab, so daß ich nur röcheln konnte. Auf einmal strömte Luft in meine Lungen. Die Schlange entrollte sich mit blitzartiger Bewegung, glitt von meinen Schultern hinab und verschwand in einer Felsspalte. Fassungslos starrte ich ihr nach, während mein Vater, kreidebleich im Gesicht, über die Felsen stolperte und mich in seine Arme riß. Er streichelte mich, betastete meine Glieder mit zitternden Händen, um sich zu vergewissern, daß ich nicht verletzt war. Außer der Beule und ein paar Abschürfungen war ich unversehrt, doch blau vor Kälte. Ich erzählte, daß die Schlange die ganze Nacht bei mir gewesen war, daß sie mich geleckt hatte und ich für sie gesungen hatte. Die Polizisten rieben sich die Stirne, und der Holzfäller murmelte Dankgebete, daß die Schlangengottheit mich verschont hatte.
Kunihiko, verstört und stammelnd, hob mich hoch wie ein kleines Kind. Die Beine versagten mir jeden, auch den leichte-sten Dienst. Kunihiko wickelte mich in eine Decke und trug mich den Berg hinunter nach Hause. Hanako erhitzte sofort das Badewasser, während Akemi mir die durchnäßten Kleider abstreifte. Behutsam reinigte sie meine Schürfungen und wusch mich mit einem Schwamm aus Seegras ab. Dann hob sie mich in die Wanne. Trotz des heißen Wassers fror ich bis ins Mark.
Doch allmählich lockerte die Wärme meine verkrampften Muskeln; ich fühlte mich besser. Akemi hob mich aus der Wanne heraus, wickelte mich in ein Badetuch ein und rieb mich mit kräftigen Bewegungen trocken. Zum Umfallen müde, ließ ich alles teilnahmslos mit mir geschehen. Mein Vater hatte die elektrische Heizung in der Wärmekiste eingeschaltet. Hanako zog den dicken Rand der baumwollenen Tischdecke über meine Knie, damit die Wärme aufgespeichert wurde. In einer Tasse stand heiße Milch für mich bereit, die ich dankbar schlürfte. Noch bevor die Tasse leer war, hatte ich den Kopf auf meine Arme gelegt und schlief.
Der Sturm hatte großen Schaden angerichtet, Bäume entwurzelt, die Quelle in einen reißenden Sturzbach verwandelt. Als Akemi mein Zimmer leer fand, verständigte Kunihiko sofort die Polizei. Bei Tagesanbruch machten sich die Männer auf den Weg. Sie folgten meinen Fußspuren am Berghang. Beim Aufstieg entdeckte der Holzfäller meinen Schuh im Schlamm, und Kunihiko fürchtete das Schlimmste. Dann stießen sie erneut auf eine Spur. Sie führte durch den Wald, aufwärts, zum Iwakura.
Dort fanden mich die Männer. Wie eine Steinfigur sah ich aus, sagten sie, wie ein kleiner Buddha, der eine Schlange auf den Schultern trug.
Die Geschichte verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Einfache Menschen haben für geheimnisvolle Dinge einfache Erklärungen. Der Berg- und Schlangenkult ist in dieser Gegend nach wie vor lebendig. Ich war der Sohn des Schmiedes, meine Familie gehörte dem Shugendo-Glauben an. Es hieß, ich habe
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