Seidentanz
minerali-schen Stoffen eigen ist. Es besteht – dessen bin ich ganz sicher
– eine Verbindung zwischen dem Ursprung des Tanzes, seiner formalen Vollendung und der Arbeit in der Schmiede. Wer tanzt, entwickelt eine Empfindsamkeit, welche die Betrachter in einen anderen Seinszustand versetzt; wer Metall formt, erreicht eine Transmutation. Beides sind reale Verfahren, beide dienen dazu, den Menschen mit einer Wandlung zu konfrontie-ren.
Meine Kopfschmerzen waren auch nach drei Tagen noch nicht besser. Meine Stimmung war gedrückt, jedes Geräusch war mir zuviel. Fieber hatte ich nicht, auch keinen Husten. Die Klimaanlagen liefen im Winter und Sommer auf vollen Touren, und der Temperaturwechsel zwischen draußen und drinnen führte häufig zu einer Erkältung. Doch meine Nase lief nicht, und meine Stirn war kühl, weder Brust noch Hals taten mir weh. Trotzdem fühlte ich mich elend. Ich sagte mir, es ist sicher nur Übermüdung. Jetzt, wo die Aufregung der letzten Tage vorbei ist, macht sie sich eben bemerkbar. Oft kamen mir die Tränen, nicht aus Wehleidigkeit, sondern aus Wut, weil mein Körper, dieser überfeinerte Apparat, schon morgens beim Training so schlapp reagierte und jede Bewegung wie ein Stoß durch mich hindurchging. Ich wollte nur noch liegen, und sonst nichts mehr. Ein Glück, dachte ich, daß der Onjôkan bis Mitte Januar geschlossen ist. Ich hätte Mühe gehabt, den Unterricht zu gestalten. So begnügte ich mich denn, still zu sitzen, und da gab es Stunden, die dreifach zählten. Das Problem ließ sich verschieden betrachten. Alles ließ sich verschieden betrachten.
Auch die Möglichkeit, daß meine Müdigkeit mit ganz anderen Dingen zusammenhing, war vorhanden. Aber von alldem sagte ich Kunio nichts. Die Arbeit in der Schmiede strengte ihn an, weil er sie noch nicht gewohnt war, und er hatte ohnehin zuwenig Ruhe.
Auf der Rückfahrt nach Nara fiel uns der Himmel auf. Glä-
sern und düster, fast ohne einen Stern. Dieser Himmel ließ nichts Gutes ahnen. Der Halbmond hing matt und schwer über dem Horizont, mit einem sichelförmigen Schatten, verschwommen wie Rauch. Für Schönheit empfänglich, liebten wir den Mond; dieses stumpfe Purpur war uns unheimlich.
»Sieht sonderbar aus, nicht?«
»Ich möchte ein Bauer sein und wissen, was diese Farbe bedeutet«, sagte Kunio.
Unter dem Mond verliefen die Höhenzüge, schwarz wie bemaltes Papier in der farbenschluckenden Klarheit der Luft. Die Scheinwerfer huschten über die Straße. Alles um uns herum war abstrakt. Unwirkliche Linien, Flächen, Kanten, die im Strahl aufleuchteten und sich in der Dunkelheit verloren. Der Mond zog vorbei, glühend, als ob auf seiner Fläche ein Riesen-brand wütete. Ich seufzte.
»Eine seltsame Stimmung ist das heute abend.«
»Ein Wettersturz, vermutlich.«
»Regen?«
»Läßt sich schwer sagen.«
Endlich flackerte am Nachthimmel die Aura der Stadt. Wir fuhren durch die Vororte; der Gespenstermond verschwand hinter den Hochhäusern. Stoßzeit in Nara. Alles war wie sonst: Autoschlangen auf den Ringstraßen, Neongeflimmer, Schaufenster, überfüllte Cafés. Die Farben zuckten als Blitze durch meinen Kopf, und ich hatte ein unangenehmes Gefühl im Magen. Endlich waren wir am Ziel. Das Haus wartete mit dunklen Fenstern. Das Tor war offen. Kunio hielt an und stellte den Motor ab. Als ich aus dem Wagen stieg, wurde mir schwindelig und weich in den Knien. Kunio war sofort hinter mir, hielt mich fest.
»Was hast du?« frage er. »Was hast du?«
Ich klammerte mich an ihn.
»Kopfweh… es tut mir leid!«
Er legte den Arm um mich, führte mich die Treppe hinauf, stützte mich, während ich die Füße aus meinen Stiefeln zerrte.
In der Wohnung war es dunkel und warm, wunderbar ruhig.
Kunio machte Licht.
»Möchtest du ein Bad nehmen?«
Das Zimmer drehte sich und wurde schwarz. Meine Bauch-muskeln spannten sich. Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund und kämpfte gegen einen Brechreiz an.
»Ich… ich glaube, ich werde mich hinlegen.«
Kunio zog den Futon aus dem Wandschrank. Ich ließ mich auf die Matratze sinken. Es war eine Erleichterung ohneglei-chen, zu liegen. Mein Kopf schmerzte derart, daß ich mich wie in Trance hin und her wiegte. Ungestüm rauschte das Blut in meinen Adern. Ich preßte die Handflächen auf die Augen, bis sich rote und gelbe Flecken hinter meinen Lidern zu drehen begannen. Ein Bild löste sich aus dem flackernden Wirbel: Der rotglühende Mond, zur Seite geneigt mit seiner
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