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Seidentanz

Seidentanz

Titel: Seidentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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einem kleinen Mädchen am Boden saß. Die Beine des Kindes waren bis zu den Knien verbunden und blutge-tränkt. Ich gab dem kleinen Mädchen einen Apfel. Sie nahm ihn teilnahmslos, während die Großmutter einige Dankesworte murmelte.
    »Ihre Eltern sind tot«, sagte sie mit dünner, zittriger Stimme.
    Ihre Augen starrten uns an, starrten durch uns hindurch. Kunio öffnete eine Flasche Mineralwasser. Er füllte einen Plastikbe-cher und reichte ihn der alten Frau. Sie trank in kleinen Schluk-ken. Das Kind drehte das Gesicht weg, als wir ihm Wasser anboten.
    »Es ist wie im Krieg, ich entsinne mich gut.« Die alte Frau deutete auf die schwarzen Rauchwolken.
    »Wind macht sich auf. Die Feuer verbreiten sich.«
    Wir ließen der Frau das Mineralwasser und gingen weiter.
    Wir waren seit Stunden unterwegs, empfanden keine Müdigkeit, nur ein Ziehen in den Gelenken und das Gefühl, uns in einem Wachtraum zu bewegen. In den Schaufensterkästen lagen die Puppen wie Leichen am Boden oder lächelten gespenstisch in bunten Frühlingskleidern. Wir kamen an einem Tempel vorbei, das Holzgebäude war der Erde gleichgemacht worden. Das grüne Ziegeldach, in der Mitte eingeknickt und bis zum Boden gesenkt, glich einem gigantischen Falter mit ausgebreiteten Flügeln. Es wurde Abend; die Sonne schwebte wie eine rote Kugel hinter dem Rauch. Manchmal stob der Qualm auseinander, gab ein Stück kobaltblauen Himmel frei, in dem die Hubschrauber kreisten. Wir hielten mit Mühe die Richtung ein, kamen nur langsam vorwärts. Die Straßenkarte half uns kaum: Oft mußten wir lange Umwege in Kauf nehmen, weil die Straßen von herunterhängenden Gegenständen und Schuttmassen versperrt waren. Über unseren Köpfen hing ein wirres Netz von Telefon- und Elektrizitätskabeln. Manche schleiften wie dicke Knäule am Boden. Als es dunkel wurde, zuckten Tausende von Taschenlampen durch den Schutt, viele benutzten die Scheinwerfer der Wagen als Lichtquelle. Die hellen Strahlen grenzten die Rauchwolken ein, die im Flammenschein von unten selbst wie Feuer schimmerten. Die alte Frau hatte sich nicht getäuscht: Der Abendwind entfachte die Brände, ganze Häuserblocks standen in Flammen.
    »Es sind geplatzte Gasleitungen, die brennen«, sagte Kunio.
    »Weißt du überhaupt, wo wir sind?«
    »Gleich unten am Hang. Es ist nicht mehr weit jetzt.«
    Wie alle Menschen in dieser Stadt befanden wir uns in einem eigentümlichen Zustand der Angstgewöhnung. Wir dachten nüchtern und klar und sprachen sehr sachlich.
    »Hier steht kein einziges Haus mehr, Kunio.«
    Er nickte.
    »Ja, es ist…«, er verbesserte sich…. »es war ein sehr altes Viertel.«
    Die unstabilen Trümmer ließen knarrende Geräusche hören.
    Es stank nach Gas, nach geplatzten Kanalisationen, nach Verbranntem. Plötzlich wurden Stimmen laut, dunkle Gestalten kamen uns entgegen. Eine Frau schluchzte herzzerreißend.
    Sanitäter trugen eine Bahre, auf der ein Mann mit verbundenem Kopf lag. Auf den Schutthalden bewegten sich die Rettungsmannschaften, erkennbar an ihren roten Uniformen. Sie arbeiteten im Licht von Stablampen und Scheinwerfern. Das Erdbeben hatte die leicht gebauten Häuser aus den Grundfesten gerissen.
    Sie waren umgekippt, eins nach dem anderen, wie Kartenhäuser. Wieder kamen uns Sanitäter mit einer Trage entgegen. Ein Halbwüchsiger stützte eine alte Frau, die leise wimmerte. Ein junger Mann hielt ein kleines Kind in den Armen, dessen Kopf in einem seltsamen Winkel zurückgebogen lag. Ich schluckte würgend. Meine Kehle war voller Ruß und Staub.
    »Sie wird nicht mehr da sein«, sagte ich.
    Kunio rieb sich die Augen. Die Helme trugen wir nicht mehr.
    Sie schränkten unsere Sicht ein und verursachten uns Ohren-schmerzen.
    »Sie ist in einer Notunterkunft, wahrscheinlich.«
    Ich blieb plötzlich stehen; die Haut schien mir am Körper zu gefrieren.
    »Kunio… die Autobahn!«
    Er folgte meinem Blick; dort, wo die Autobahn auf Betonpfeilern geruht hatte, gähnte ein riesiges Loch. Die tonnen-schweren Säulen waren zerbrochen, hatten die Brücke in die Tiefe gerissen. Über den wenigen Pfeilern, die noch standen, schwebte ein Teil der Autobahn in der Luft. Ein Autobus hing in seltsamem Gleichgewicht über dem Rand. Ich schloß kurz die Augen, sah Naomi im roten T-Shirt unter der Brücke stehen und winken. Das heiße Licht fiel in Wirbeln vom Himmel, und ihr schönes, kräftiges Haar wehte im Wind. Damals hatte sich der Vorhang über etwas bewegt, was verborgen bleiben sollte, will der

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