Seidig wie der Tod
aus welchem Grund ich hergekommen bin.“
Sie ist kleiner, als sie im Fernsehen wirkt, dachte Roman, und noch erheblich zierlicher. Ihr Haar, das auf dem Bildschirm kupferrot wirkte, war in Wirklichkeit viel dunkler und ähnelte mehr einem Mahagoniton.
„Was, Sie sind nicht zu einem Prominenteninterview gekommen?“
Sie runzelte die Stirn über den unverhohlenen Spott in seiner Stimme. „Ich mache keine Reklamesendungen.“
Seine Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln. „Das spricht für Sie. Es ist ermutigend, einem Journalisten zu begegnen, der nicht bereit ist, sich der Diktatur von Einschaltquoten und modischen Trends zu unterwerfen.“
Als sie darauf nichts erwiderte, rieb er sein unrasiertes Kinn. „Nun ja, wenn Sie also nicht hier sind, um über meine Arbeit zu sprechen, werden Sie mich wohl fragen wollen, warum ich gestern Nacht auf dem St. Louis Cemetery war.“
„Ich spreche mit vielen Leuten, die gestern Nacht dort waren.“ Das war die Wahrheit. In etwa jedenfalls.
„Aber an mir sind Sie ganz besonders interessiert. Weil ich derjenige bin, der Ihnen dort am deplaciertesten erschien.“
Das war nicht abzustreiten. „Ja.“
Wieder zuckte Roman mit den Schultern. „Ich hatte Sie schon erwartet.“
Er wusste, dass es gefährlich war, über die Vorfälle zu reden, vor allem mit einer Journalistin. Aber Desiree hatte etwas an sich, was ihm das Gefühl vermittelte, es könnte das Risiko wert sein.
Im Übrigen erinnerte er sich, gehört zu haben, dass sie mit Michael O’Malley, dem Detective, der die Ermittlungen in den Vergewaltigungsfällen führte, befreundet gewesen war. Falls die beiden sich noch immer nahestanden, war anzunehmen, dass O’Malley, den Roman als besessenen Kriminalbeamten in Erinnerung hatte, seiner Freundin Einzelheiten über die Verbrechen im Französischen Viertel anvertraut hatte.
Roman hatte nie gern Menschen benutzt, nicht einmal in jenen Tagen als Staatsanwalt, als er sein Verhalten noch damit rechtfertigen konnte, dass er unschuldige Menschen schützte, indem er die schlechten hinter Gitter brachte.
Aber ob es ihm nun gefiel oder nicht, er musste in Erfahrung bringen, was Desiree Dupree – und die Polizei – wussten.
Bevor sie etwas erwidern konnte, hielt eine Kutsche mit Touristen vor dem Haus. Die Frau, der Mann und die drei Kinder starrten Desiree und Roman an, als der Kutscher seinen üblichen Vortrag hielt.
„Geschieht das oft?“, fragte Desiree gedämpft.
„Mehrmals täglich.“
Sie kam sich merkwürdig verwundbar vor. Es war ein Gefühl, das jenem ähnlich war, das sie früher empfunden hatte, wenn sie im Zuge des endlosen Kampfes ihrer Tante und ihrer Großmutter um die Vormundschaft im Gerichtsgebäude an einer Horde von Journalisten hatte vorbeigehen müssen. Es gab Zeiten, in denen Desiree es sehr ironisch fand, den gleichen Beruf gewählt zu haben wie ihre früheren Peiniger.
Während sie daran gewöhnt war, jeden Abend im Fernsehen zu Tausenden von Zuschauern zu sprechen, konnte sie sich nicht vorstellen, vor ihrem Haus von Touristen angegafft zu werden.
„Ich schätze, der Mangel an Privatleben gehört zum Alltag eines Bestsellerautors.“
„Wahrscheinlich“, stimmte er milde zu. „In meinem Fall ist es jedoch das Haus, das die Leute sehen wollen.“
„Das Haus?“
„Wie in so vielen anderen in dieser Stadt spukt es hier angeblich.“ Er zögerte einen winzigen Moment, bevor er hinzufügte: „Der Geist einer Sklavin, die an einem Weihnachtsmorgen ermordet aufgefunden wurde.“
Als er wieder innehielt, gewann Desiree den Eindruck, dass er sie ganz bewusst auf die Folter spannte.
„Sie war jung und schön und ist brutal vergewaltigt worden. Anschließend hat der Täter ihr die Kehle aufgeschlitzt.“ Sein Blick hielt Desirees kraft seines männlichen Willens fest. „Später fanden sie sechs weitere junge Frauen, die im Hof begraben waren. Alle waren vergewaltigt und auf die gleiche Weise getötet worden.“ Roman beobachtete, wie ein Erschaudern durch ihren Körper ging. „Ein eigenartiger Zufall, nicht?“, fragte er.
Wenn da nicht diese Qual in seinem spöttischen Blick gewesen wäre, hätte Desiree geglaubt, dass es ihm Vergnügen bereitete, sie zu schockieren. „Ist es das?“, fragte sie. „Ein Zufall?“
Er antwortete nicht. Stattdessen drehte er sich nach der Kutsche um, die noch immer vor dem Haus stand. Beide hörten das leise Surren einer Videokamera.
„Wir wären drinnen ungestörter“, schlug er
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