Seifenblasen kuesst man nicht
Werkstatt â und verschwand danach in Richtung Tanzschule.
Und immer noch gab es einen kleinen Stich im Herzen, immer noch einen übermütigen Moment der Freude, wenn sie den neongrünen Schriftzug an der Fassade des modernen mehrgeschossigen Bürohauses am Kurfürstendamm sah. Die »Dance Factory« nahm die gesamte obere Etage ein. Als die Fahrstuhltüren zur Seite glitten und den Blick auf die hellen Flure und die verglasten Studios freigaben, als sie auf dem Weg zu den Umkleideräumen lachende GruÃworte aufschnappte und den Geruch von Bohnerwachs, Puder und Schweià einatmete, als Wanda ihr entgegenkam, den Daumen hochhielt und »London!« entgegenrief, wusste sie, hier war sie richtig.
Coralie hatte Stage Dance erst spät für sich entdeckt. Bis dahin hatte sie sich mehr oder weniger begeistert durchs klassische Ballett gekämpft, Seite an Seite mit den Töchtern ehrgeiziger Mütter und verbissenen kleinen Superstars, die später an die staatliche Ballettschule wechselten. Eigentlich war Ballett ihre Flucht aus der realen Welt gewesen. Das genaue Gegenteil von SchweiÃbrennern, Diesel und Schmieröl. Nie hätte sie geglaubt, dass Tanzen zur Leidenschaft werden könnte â bis Wanda aufgetaucht war.
Wandas Klasse war anfangs nur ein Zusatzangebot der Schule gewesen. Schon nach den ersten Stunden war Coralie klar gewesen, dass sie genau das wollte: Tanzen, wie Wanda es ihr zeigte. Kein Plié, kein Pas de deux. Sie wollte laute Musik und verrückte Choreografien. Wut, Ãrger, Freude, Angst â all das, was sie nie richtig zeigen konnte â wollte sie einfach aus sich herauslassen. Tanzen bis zum Umfallen, zu lauter, rockiger Musik, die letzten Kraftreserven mobilisieren. Sich selbst vergessen, verlieren und wiederfinden.
Als Wanda anfing, richtig mit ihr zu arbeiten, fühlte Coralie zum ersten Mal, wie es sein könnte, auf einer groÃen Bühne zu stehen. Ein Instrument zu sein für die Musik, sich diesem einzigartigen Gefühl hinzugeben, wen n alles eins war. Zwei harte Jahre lagen hinter ihr. Jahre, in denen sie begriffen hatte, was tanzen bedeutete und dass sie besser werden wollte. Die Dance Factory war gut, doch sie reichte nicht aus für Coralies Ehrgeiz.
»Du musst nach London«, hatte Wanda ihr eines Tages gesagt. »Bewirb dich für einen Workshop bei Khaled. Er sucht sich immer mal wieder den Nachwuchs für seine Company bei diesen Workshops aus.«
Seitdem war kein Tag vergangen, an dem sie ihren Eltern nicht von Khaled und London vorgeschwärmt hatte. Die Einwände, die mit »Schule« und »Das ist doch nichts fürs Leben« begannen, wischte sie zur Seite. Für sie gab es nur ein Ziel: einen Platz bei Khaled zu ergattern. Was dann kam, stand sowieso noch nicht zur Debatte.
Auch an diesem Nachmittag nahm Coralie die Aufwärmübungen mehr als ernst. Nach einer halben Stunde Arbeit an der Stange war sie schweiÃgebadet. Aber sie fühlte ihren Körper, vom Scheitel bis zu den Zehenspitzen. Es war ein bisschen wie unter Strom und ganz nah am Feuer. Irgendwann kam der Moment, in dem man alles vergaÃ: Anstrengung, Schmerzen, Müdigkeit, sogar die Zeit. Dann begann der Flow, von dem sie sich davontragen lieÃ.
Die Master Class, in die sie sich mittlerweile hochgearbeitet hatte, begann in fünf Minuten. Coralie sah im Spiegel, dass Wanda, das Handtuch um die Schultern und eine Flasche Wasser in der Hand, auf sie zukam. Aber sie lächelte nicht, wie sie das sonst tat. Im Gegenteil. Ihr schmales, dunkles Gesicht war ernst, die groÃen braunen Augen ruhten mit einem schwer zu bestimmenden Ausdruck auf ihrer Meisterschülerin.
»Ist was?«
Coralie drehte sich um. Im gleichen Raum übte noch ein halbes Dutzend anderer Schüler. Spagatsprünge, Piroue tten, komplizierte Schrittfolgen.
»Komm mal mit. Ich muss mit dir reden.«
Etwas in Coralies Bauch krampfte sich zusammen. Wenn jemand »mit ihr reden« wollte, dann hatte das selten mit dem Wetter zu tun.
Sie folgte Wanda in die Umkleideräume. Zwei kichernde Zehnjährige kämpften sich gerade aus ihren Tutus, streng bewacht von ihren russischen Kindermädchen.
»Coralie â¦Â« Wanda setzte sich auf eine Bank. »Ich habe grade mit Khaled telefoniert. Er hat dein Video gesehen.«
»Und?« Ihr Herz begann, wie verrückt zu klopfen. Wanda hatte mit ihr geübt. Monatelang. Oft noch
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