Sein Bruder Kain
zusammengezogenen Brauen ließen auf einen temperamentvollen Menschen schließen. Es war das Gesicht eines stolzen Mannes von ungewöhnlichem Charme, der überdies, so vermutete Monk, eine beträchtliche Fähigkeit besaß, andere zu beherrschen.
Bei dieser Gelegenheit machte er jedoch keinerlei Versuche, sein Gegenüber zu beeindrucken.
»Ich entnehme Mrs. Stonefields Brief, daß sie Ihre Hilfe in Anspruch nehmen möchte, um herauszufinden, was geschehen ist.« Es war eine Feststellung, keine Frage. »Ich gestehe, ich bin am Ende meiner Weisheit. Ich habe nicht die leiseste Ahnung, was ihm zugestoßen sein könnte, und wäre dankbar für jede Hilfe, die Sie uns leisten können.«
»Vielen Dank, Mylord«, entgegnete Monk. »Ich habe sein Büro aufgesucht, und seine Angestellten dort scheinen ebenfalls nichts zu wissen, obwohl ich bisher noch nicht mit Mr. Arbuthnot sprechen konnte, in dessen Händen, wie man mir sagte, zur Zeit die Leitung der Geschäfte liegt und der die Autorität hätte, offener mit mir zu sprechen. Aber falls es irgendwelche finanziellen Probleme geben sollte, treten sie jedenfalls nicht offen zutage…«
Ravensbrook hob ganz leicht seine schwarzen Augenbrauen.
»Finanzielle Probleme? Ja - das müssen Sie wohl auch in Erwägung ziehen. Jemand, der Angus nicht kennt, müßte das für eine Möglichkeit halten. Allerdings…« Er machte eine knappe Handbewegung, um Monk zu zeigen, wo er Platz nehmen konnte, und ging hinüber zum Kamin, an dessen beiden Enden zwei exquisite silberne, georgianische Kerzenleuchter standen sowie eine irische Kristallvase mit einem Zweig goldenem Winterjasmin. »Wie Mrs. Stonefield Ihnen sicher bereits gesagt hat«, fuhr er fort, »kenne ich Angus seit seiner Kindheit. Er war fünf Jahre alt, als seine Eltern starben. Er war immer ehrgeizig und umsichtig und hatte die Begabung, Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Er hat nie zu jenen gehört, die versuchen, auf Abkürzungen oder leichten Wegen zum Erfolg zu gelangen. Er hätte zum Beispiel nie um Geld gespielt.«
Er drehte sich zu Monk um, seine Augen waren sehr dunkel, sein Blick fest und ruhig. »Risiken waren ihm von Natur aus verhaßt, und er war durch und durch ehrlich. Zufällig bin ich bestens darüber im Bilde, daß sein Geschäft floriert. Wenn Sie sich selbst davon überzeugen wollen, können Sie natürlich die Rechnungsbücher prüfen, aber das wäre reine Zeitverschwendung, was das Problem seines Verschwindens betrifft.«
Seine Stimme klang gepreßt, aber seine Miene verriet nichts von seinen Gefühlen. »Mr. Monk, es ist von größter Wichtigkeit, daß Sie die Wahrheit herausfinden, worin auch immer diese bestehen mag. Das Geschäft erfordert Angus' Anwesenheit, sein Urteil.« Er holte tief Luft. Das Feuer hinter ihm loderte den Kamin hinauf. »Wenn bekannt wird, daß er verschwunden ist und sich nicht nur auf irgendeiner Reise befindet, dann wird das Vertrauen seiner Kunden schnell dahin sein. Um seiner Familie willen muß das Geschäft, falls ihm etwas Entsetzliches zugestoßen sein sollte, verkauft werden, oder man muß einen neuen Direktor einsetzen, bevor die Sache bekannt wird und das Ansehen der Firma und der gute Ruf, der sich mit seinem Namen verbindet, verlorengehen. Ich habe Genevieve und ihren Kindern bereits meinen Schutz angeboten; ich würde sie jederzeit bei mir aufnehmen, genauso wie ich Angus seinerzeit aufgenommen habe, aber bisher hat sie mein Angebot abgelehnt. Es wird jedoch nicht allzulange dauern, bis sie nicht mehr allein zurechtkommt.«
Monk mußte eine schnelle Entscheidung treffen, was die Frage betraf, ob er diesem Mann vertrauen konnte. Er betrachtete Ravenbrooks hageres, intelligentes Gesicht, die geschmackvolle Einrichtung des Raums, lauschte dem leicht schleppenden Tonfall seiner Stimme, nahm die Festigkeit seines Blicks wahr.
»Nach finanziellen Schwierigkeiten wäre der nächste auf der Hand liegende Grund für Mr. Stonefields Verschwinden eine andere Frau«, sagte er laut.
»Natürlich«, stimmte Ravensbrook ihm zu, wobei er die Mundwinkel leicht herunterzog und ein Anflug von Abscheu in seinen Augen aufflackerte. »Das müssen Sie natürlich ebenfalls in Erwägung ziehen, aber Sie haben ja Mrs. Stonefield kennengelernt. Sie ist keine Frau, die ein Mann aus Langeweile verlassen würde. Ich wünschte wirklich, ich könnte glauben, daß es etwas so… verzeihen Sie meine Ausdrucksweise…«, ein Muskel zuckte in seinem Kiefer, »… etwas so Gewöhnliches wäre.
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