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Sein Bruder Kain

Sein Bruder Kain

Titel: Sein Bruder Kain Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sagte sie, bevor er sich entschuldigen und irgendeine Ausrede finden konnte, um seine Unhöflichkeit abzumildern.
    »Es wäre mir sehr viel lieber, ihm nicht…« sie zögerte, »… verpflichtet zu sein, wenn ich es irgendwie vermeiden kann. Natürlich ist er ein guter Mensch!« Dann fuhr sie hastig fort:
    »Er hat Angus und Caleb nach dem Tod ihrer Eltern großgezogen. Sie sind nur ganz entfernte Verwandte. Er hatte keine wirkliche Verpflichtung den beiden gegenüber, aber er hat ihnen alle Möglichkeiten geboten, als wären sie seine eigenen Söhne gewesen. Seine erste Frau starb sehr jung. Jetzt hat er wieder geheiratet. Ich bin sicher, er wird Ihnen helfen, wo er nur kann.«
    »Vielen Dank«, erwiderte er, dankbar dafür, daß er sie mit seiner Plumpheit anscheinend nicht gekränkt hatte. »Sobald ich irgend etwas erfahre, werde ich es Sie wissen lassen.«
    »Ich bin Ihnen sehr dankbar«, sagte sie leise. Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, überlegte es sich dann aber anders. Er fragte sich, ob sie vielleicht eine Bemerkung über die Angst um ihren Mann oder darüber hätte machen wollen, wie wichtig es ihr war, eine Antwort auf ihre Fragen zu erhalten. »Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend, Mr. Monk.«
    Es war kein angemessener Zeitpunkt für einen Besuch bei Lord und Lady Ravensbrook, aber Genevieves Notlage berührte ihn tief, und er war durchaus bereit, Ravensbrook beim Essen zu stören oder, wenn nötig, eine Weile von seinen Gästen fernzuhalten. Zur Erklärung seines Verhaltens würde er ihm die Wahrheit sagen.
    Als die Droschke ihn in strömendem Regen vor dem Haus der Ravensbrooks abgesetzt hatte und er durch die Pfützen auf dem Bürgersteig watete und schließlich die Marmorstufen hinaufstieg, war er fest entschlossen, jeden Kampf auszufechten, der ihm bevorstehen mochte. Aber seine bösen Vorahnungen erwiesen sich als unbegründet. Die Tür wurde von einem livrierten Lakaien geöffnet, der seine Karte sowie den Brief von Genevieve entgegennahm und ihn in der Eingangshalle warten ließ, während er sich anschickte, beide Dinge seinem Herrn vorzulegen.
    Das Haus war ein prächtiger Bau. Monk schätzte, daß es aus der Zeit Queen Annes stammen mußte, einer in bezug auf die Architektur weit eleganteren Periode, als es die der gegenwärtigen Königin war. Hier wirkte nichts übertrieben. Die Ornamentierung war einfach und vermittelte den Eindruck von Raum und perfekten Proportionen. In der Eingangshalle hingen an dreien der vier Wände gefällige Porträts, die wohl verstorbene Mitglieder der Ravensbrooks zeigten. Entweder hatte es sich durchweg um Menschen von angenehmem Äußeren gehandelt, oder die verschiedenen Künstler waren sehr schmeichelhaft mit ihren Modellen umgegangen.
    Die Treppe, genau wie die Außentreppe aus grauem Marmor, führte in einem weiten Schwung an der rechten Wand zu einem Treppenabsatz hinauf, der mit einem Geländer aus dem gleichen Stein versehen war. Ein Kronleuchter mit wenigstens achtzig Kerzen beleuchtete den Raum, und in einer blauen Delfter Schale blühten Treibhaushyazinthen, die die Luft mit Wohlgeruch erfüllten.
    Monk kam der Gedanke, daß Angus Stonefield für sein Geschäft möglicherweise die allerbesten Ausgangsbedingungen gehabt hatte, sowohl finanziell als auch gesellschaftlich. Genevieves Stolz, der es ihr verbot, wenn schon nicht für sich selbst, dann zumindest für ihre Kinder die Hilfe dieses reichen Mannes anzunehmen, erschien ihm eigentümlich und ein wenig schroff. Oder glaubte sie trotz allem, was sie gesagt hatte, doch noch, daß Angus irgendwann zurückkehren würde?
    Der Lakai, der nur mit dem Heben einer Augenbraue eine Spur von Überraschung verriet, kehrte zurück und führte Monk in die Bibliothek. Lord Ravensbrook, der anscheinend sein Dinner verlassen hatte, um diesen unangemeldeten Gast zu empfangen, erwartete ihn bereits.
    Der Lakai zog sich zurück, und die Tür schloß sich hinter ihm.
    »Ich entschuldige mich, Mylord, für mein Erscheinen zu dieser unziemlichen Stunde«, sagte Monk sofort.
    Ravensbrook tat die Sache mit einer einzigen Handbewegung ab. Er war ein großer Mann, vielleicht ein oder zwei Zoll größer als Monk, und äußerst gutaussehend. Sein Gesicht war hager und schmal, aber er hatte schöne, dunkle Augen, eine lange Nase und einen scharf geschnittenen Mund. Abgesehen von seinen ansprechenden Zügen strahlte er Wachheit und Intelligenz aus, um seinen Mund lagen feine Lachfältchen, und die leicht

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