Sein Bruder Kain
Wangenknochen, eine kurze, hervorspringende Nase und einen breiten, schön geformten Mund. Sie war nicht im traditionellen Sinne hübsch, aber je länger er sie ansah, um so besser gefiel sie ihm, denn sie strahlte Gelassenheit und Offenheit aus. Sie wirkte genauso freimütig wie Genevieve, aber deutlich gebieterischer als diese. Ihr Gesicht war das einer Frau, die dafür geschaffen war, Macht auszuüben.
Ravensbrook hob kaum merklich die Hand. »Meine Liebe, das ist Mr. Monk, den Genevieve beauftragt hat, uns dabei zu helfen herauszufinden - was dem armen Angus zugestoßen ist.« Die Art, wie er sie berührte, und seine Miene, als er sie ansah, machten eine Vorstellung unnötig.
»Guten Tag, Lady Ravensbrook.« Monk verbeugte sich leicht. Dies war nicht seine Art, aber diesmal verfiel er, als er das Wort an sie richtete, ohne nachzudenken auf diese Geste des Respekts.
»Ich bin sehr froh, daß Sie hier sind.« Sie sah Monk interessiert an. »Es wird Zeit, daß etwas geschieht. Ich würde ja gern etwas anderes denken, aber ich weiß, daß Caleb möglicherweise für diese Situation verantwortlich ist. Es tut mir leid, Mr. Monk, wir haben Sie mit einer äußerst unerfreulichen Aufgabe betraut. Caleb ist ein gewalttätiger Mann und wird weder die Polizei noch irgendeine andere Autorität willkommen heißen. Und wie Sie vielleicht schon wissen, haben wir es im Südteil von Limehouse im Augenblick auch noch mit einem schweren Ausbruch von Typhus zu tun. Wir sind wirklich dankbar, daß Sie sich des Falles annehmen wollen.«
Sie wandte sich an ihren Mann. »Milo, ich glaube, wir sollten anbieten, Mr. Monks Unkosten zu tragen, statt zuzulassen, daß Genevieve das tut. Sie ist kaum in einer Position, die… das Vermögen wird gewiß festliegen, und sie verfügt sicher nur über relativ geringe Mittel…«
»Natürlich.« Er brachte sie mit einer knappen Geste zum Schweigen. Es schickte sich nicht, vor einem Mann, den man für seine Dienste bezahlte, von solchen Dingen zu sprechen. Nun wandte er seine Aufmerksamkeit wieder Monk zu. »Natürlich werden wir das tun. Wenn Sie Ihre Rechnungen bitte an mich richten wollen, werde ich dafür sorgen, daß man sie begleicht. Gibt es sonst noch etwas, was wir tun könnten?«
»Haben Sie vielleicht ein Bild von Mr. Stonefield?«
Lady Ravensbrook runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach.
»Nein«, erwiderte Ravensbrook sofort. »Unglücklicherweise nicht. Kindheitsbildnisse wären kaum von Nutzen, und wir haben Caleb seit fünf zehn Jahren oder länger nicht mehr gesehen. Angus hatte keine Neigung, sich porträtieren zu lassen. Er betrachtete so etwas als nutzlose Eitelkeit und ließ nur Porträts von Genevieve oder den Kindern anfertigen. Eines Tages wollte er sich wohl ebenfalls malen lassen, aber nun sieht es so aus, als hätte er zu lange damit gewartet. Es tut mir leid.«
»Ich kann Ihnen eine Zeichnung machen«, erbot sich Lady Ravensbrook schnell, aber dann schoß ihr die Röte in die Wangen. »Natürlich nichts, was irgendwelchen künstlerischen Wert hätte, aber sie bekämen wenigstens einen Eindruck von seinem Aussehen.«
»Vielen Dank.« Monk nahm das Angebot an, bevor Ravensbrook irgendwelche Einwände erheben konnte. »Das wäre sehr hilfreich. Wenn ich seine Schritte zurückverfolgen soll, würde eine Zeichnung mir die Arbeit sehr erleichtern.«
Sie trat an den Sekretär auf der anderen Seite des Raums, öffnete ihn, nahm einen Bleistift und einen Bogen Briefpapier heraus und setzte sich dann hin, um zu zeichnen. Nach etwa fünf Minuten, während derer sowohl Monk als auch Ravensbrook schweigend dagestanden hatten, kehrte sie mit der Skizze zurück und überreichte sie Monk.
Er nahm das Papier entgegen und betrachtete es. Dann schaute er überrascht und mit beträchtlichem Interesse genauer hin. Es war nicht die grobe, unfertige Skizze, die er erwartet hatte, sondern ein in kühnen Linien umrissenes Gesicht, das ihm förmlich entgegensprang. Die Nase war lang und gerade, die Brauen schön geschwungen, die Augen schmal, aber von durchdringender Intelligenz. Der Kiefer wirkte breit, lief aber zum Kinn hin spitz zu, der Mund war groß, mit einem Ausdruck zwischen Humor und Ernsthaftigkeit. Plötzlich war Angus Stonefield für ihn real geworden, ein Mann aus Fleisch und Blut, mit Träumen und Leidenschaften, ein Mensch, um den es ihm aufrichtig leid tun würde, falls er nun herausfand, daß er in einem brutalen Akt der Gewalt getötet worden war und man seine
Weitere Kostenlose Bücher