Sein Bruder Kain
weitergehen soll oder wie wir die Leute noch länger hinhalten können, ohne zu verraten, daß es bei uns ernsthafte Probleme gibt. Die Konkurrenz ist groß, Sir. Andere werden, ohne zu zögern, die Gelegenheit ergreifen, aus unserer Unentschlossenheit Profit zu schlagen.« Sein Gesicht wurde etwas rosiger, und er biß sich auf die Unterlippe. »Glauben Sie, er könnte entführt worden sein, Sir?«
Das gehörte nicht zu den Möglichkeiten, die Monk bisher in Erwägung gezogen hatte.
»Das wäre doch ein sehr extremer Schritt«, erwiderte er, ohne den jungen Mann aus den Augen zu lassen. Aber in dessen Zügen las er nichts außer Furcht und Mitgefühl. Wenn er mehr wußte, als er zugab, war er ein Schauspieler, der es mit Henry Irving aufnehmen konnte und eine Bühnenkarriere verdient hätte.
»Dann ist er vielleicht krank geworden«, meinte der Angestellte voller Besorgnis, »und liegt jetzt irgendwo in einem Krankenhaus, ohne sich bei uns melden zu können. Er hätte uns niemals absichtlich so im Stich gelassen.« Und natürlich auch nicht seine Familie! Das brauche ich sicher kaum zu erwähnen.« Seine Miene verriet, daß er wußte, daß dies eigentlich an erster Stelle hätte kommen müssen.
»Hat er geschäftliche Konkurrenten, die sich von seiner Abwesenheit Vorteile versprechen könnten?« fragte Monk, während er seinen Blick diskret durch den ordentlichen, solide möblierten Raum mit seinen Schreibtischen, Bücherregalen und Geschäftsbüchern wandern ließ. Die Wintersonne fiel durch hohe, schmale Fenster ins Zimmer. Noch immer glaubte er, daß die Antwort eher im privaten Bereich des Mannes zu finden sein würde.
»O ja, Sir«, erwiderte der Angestellte nachdrücklich. »Mr. Stonefield ist äußerst erfolgreich, Sir. Er verfügt über die seltene Gabe, genau zu wissen, was sich verkaufen läßt und zu welchem Preis. Hat oft Gewinne gemacht, wo viele andere sich die Finger verbrannt hätten… und haben!« In seiner Stimme schwang unüberhörbarer Stolz mit, bevor er Monk mit plötzlicher Angst in die Augen sah. »Aber immer absolut ehrlich!« fügte er mit ernstem Blick auf Monk hinzu, um sicherzugehen, daß dieser ihn auch verstand. »Es hat nie auch nur die leisesten Verdächtigungen gegen ihn gegeben! Weder in der City noch an der Börse?«
»Sprechen Sie von der Aktienbörse?« fragte Monk.
»O nein, Sir, ich meine die Getreidebörse.« Das hätte er eigentlich wissen müssen.
»Diese Konkurrenten von Mr. Stonefield«, sagte er schnell und mit härter klingender Stimme, »wem hat er in letzter Zeit geschäftlich besonders geschadet, oder wessen Geschäfte bedroht er?«
»Nun ja…« Der Angestellte zögerte unglücklich.
Einen Augenblick lang hörte man keinen anderen Laut als das Kratzen der Schreibfedern und leises Fußscharren.
»Ich will niemandem etwas Böses nachsagen…«, fuhr der junge Mann fort.
»Wenn die Möglichkeit besteht, daß Mr. Stonefield entführt worden ist, dann tun Sie ihm keinen guten Dienst, wenn Sie jetzt schweigen!« sagte Monk ungehalten.
Der Angestellte errötete. »Ja. Ich verstehe. Tut mir leid, Sir. Mr. Marchmont von Marchmont and Squires hat seinetwegen letzten Monat große Verluste einstecken müssen - aber es ist ein reiches Haus, das die Sache wohl heil überstehen wird.« Er dachte angestrengt nach. »Mr. Peabody von Goodenough and Jones hat es ziemlich schlecht aufgenommen, daß wir ihm vor sechs Wochen ein Geschäft zu einem sehr guten Preis weggeschnappt haben. Aber der einzige, der wirklich schwere Verluste erlitten hat, war der arme Mr. Niven. Er ist nicht mehr im Geschäft, was mir aufrichtig leid tut. Hat die Sache wie ein Gentleman aufgenommen, aber es war sehr hart für ihn, vor allem, da er und Mr. Stonefield in denselben Kreisen verkehren.
Traurige Sache.« Er schüttelte kaum merklich den Kopf. »Aber ich möchte gleich hinzufügen, daß ich mir wirklich nicht vorstellen kann, daß Mr. Niven Mr. Stonefield etwas Böses wünschen könnte. So ein Mensch ist er nicht. Sehr anständiger Bursche, ein wirklicher Gentleman, nur eben nicht so geschäftstüchtig wie Mr. Stonefield. Vielleicht hätte ich lieber schweigen sollen. Es ist… es ist wirklich sehr schwer zu entscheiden, was das Beste ist.« Er sah Monk kläglich an, als erhoffte er sich irgendeinen Hinweis von ihm.
»Sie haben ganz richtig gehandelt«, versicherte Monk ihm.
»Ohne Informationen können wir uns weder ein Urteil bilden noch entscheiden, welches der beste Weg ist.«
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