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Sein letzter Burgunder

Sein letzter Burgunder

Titel: Sein letzter Burgunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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aber blasen die Backen auf. Francis Ford Coppola ist noch der beste von allen. Was ist? Machen Sie nun mit?«
    »Ich muss darüber schlafen.«
     
    Was ist von Kochs Wandel vom Saulus zum Paulus zu halten?, fragte sich Henry. Er hatte sich am Brunnen von Henry verabschiedet. Man ging auf getrennten Wegen zum Hotel. Da er den Weg erklärt bekommen hatte, war es leicht zu finden. Wieso änderte Koch seine Meinung? Hatte das fingierte Jobangebot, von Dorotheas Hacker weitergeleitet, ihn umgestimmt? Eine günstige Perspektive, Geld im Rücken oder pure Verzweiflung bringt einen auf neue Wege. Oder hatte er inzwischen von Heckler so die Nase voll, dass ihm alles andere egal war? Henry hatte bisher geglaubt, sie würden zusammenpassen, Heckler und Koch, Herr und Knecht. Macht entstand nur durch Idioten, die ihre Macht abgaben und sich führen ließen. In welche Rolle war Koch jetzt geschlüpft?
    Dass auch Marion Theater spielte, enttäuschte ihn nicht. Und Heckler   – spielte er eigentlich alle Menschen gegeneinander aus, jetzt auch ihn gegen die Polizei? Weshalb war er so daran interessiert, dass er Ambers Mörder vor der Polizei fand? Das konnte gefährlich werden. Er sollte dem Kommissar reinen Wein einschenken   – nur würde der ihm nicht glauben. Heckler würde alles abstreiten und seine Rufmordkampagne beginnen, die Gefahr, dass er Peñasco und Lagar schaden könnte, war zu groß.
    Henry beschleunigte seinen Schritt und senkte den Kopf, hoffentlich lief er nicht einem der Juroren über den Weg, er war längst nicht allein auf der Straße. Die Temperaturenwaren sommerlich, und die Lokale im Zentrum quollen über, draußen wie drinnen waren alle Tische und Stühle besetzt. Henry hoffte, dass ihn niemand ansprach, ein stiller Platz zum Nachdenken wäre ihm jetzt recht gewesen, aber auf keinen Fall die Equipage und das verlogene Früchtchen Marion.
    Er sah sich um, als er über den freien Platz auf das Hotel zuging. Das Kurhaus rechts war hell erleuchtet, Menschen strömten darauf zu, andere kamen die Stufen herab, auf dem Rasen davor jagten sich zwei Hunde. Die Köter ignorierten das Verbotsschild, das jegliches Betreten des Rasens verbot, das Abspielen von Radios, das Fußballspielen, das Grillen, das Joggen. Kinder hatte er hier noch gar nicht gesehen.
    Für den russischen Schriftsteller Nikolai Gogol war Baden-Baden »ein paradiesisches Eckchen«. Für Mark Twain hingegen war es eine »geistlose Stadt, voll von Schein und Schwindel und mickerigem Betrug und Aufgeblasenheit«. Wer von beiden recht hatte, war Henry ziemlich egal, er wollte endlich schlafen und war im Grunde genommen froh, dass es für Telefongespräche zu spät war.
    Sein Bett war aufgedeckt, auf dem Kopfkissen lag eine Praline. Sollte er sie vor oder nach dem Zähneputzen essen? War ihm die Süße im Mund mehr wert als die Gesundheit seiner Zähne? Immer musste man bewerten, alles und jeden   – und morgen wieder fünfzig Weine. Jede Entscheidung war ihm momentan zuwider. Er holte sein kleines Radio, das ihn auf Reisen begleitete, aus dem Bad, es war diskreter als das Fernsehen, es überfiel ihn nur mit Tönen statt zusätzlich mit Bildern. Vor dem Bett stehend schaltete er es sein. Es war teuer gewesen, der Lautsprecher war hervorragend, obwohl es kaum halb so groß war wie eine Zigarrenkiste. Es rauschte wie verrückt, das war an den Abenden zuvor nicht der Fall gewesen, und der Klassiksender, den er eingestellt hatte, wurde vom Rauschen überlagert. Je mehr er sich dem Nachttischnäherte, desto stärker wurde es, wenn er sich entfernte, wurde es leiser. Auf dem Nachttisch war es am lautesten. Auf der Fensterbank wurde es wieder leiser, auf dem zweiten Nachttisch ebenfalls, Henry richtete die Antenne in alle Richtungen, aber das Rauschen blieb. Er schaltete das Radio aus und die Nachttischlampe ein, streifte die Schuhe ab, hängte sein Sakko in den Schrank, auch die grüne Krawatte mit dem feinen Traubenmuster, und legte sich aufs Bett. Endlich hatte er seine Ruhe.
    Er dachte an Isabella, sie fehlte ihm. Ich sollte nicht mehr so oft verreisen, sagte er sich und sah sie vor sich, wie sie als eine aus der Jury mit Aguirre über die Bewertung von Chlorbleichlauge stritt. Obwohl er ihr gern recht gegeben hätte, empfand er das Urteil Aguirres als fundierter. Der Restzucker, der nicht vergoren war, störte die Harmonie. Frau Stöckli trat hinzu, legte Trauben auf den Tisch und meinte, dass sie von jetzt an die Lauge vergessen könnten, es sei

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