Sein letzter Burgunder
er – weniger, weil sie sich auf sehr aparte Weise bewegte und dabei einen äußerst ansprechenden Anblick bot, sondern mehr, weil er sich fragte, woher sie wusste, dass er zu den Juroren gehörte. Das Namensschild mit dem Emblem der Baden-Baden Wine Challenge steckte in seiner Jackentasche. Der Klingelton der sich öffnenden Fahrstuhltür riss ihn aus den Gedanken. Es war weniger ihr Aussehen als ihre Art der Bewegung, die ihn sicher sein ließ, dass er ihr letzte Nacht begegnet war.
»Señor Meyenbeeker! Es wird Zeit.« Etwas ungehalten wegen seiner Verspätung empfing ihn Josephine Rider. »Je früher wir beginnen, desto schneller kommen wir zum Pferderennen.Wollen Sie nicht mit – vielleicht setzen Sie aufs richtige Pferd und gewinnen wieder? Da hätten wir dann alle was davon.«
Auch Frau Stöckli war von der Aussicht angetan. »Ich trinke am liebsten Champagner, aber nur vom Winzer.«
»Ich werde mir die größte Mühe geben, Sie nicht zu enttäuschen.« Mit diesen Worten setzte er sich zu ihnen an den Frühstückstisch. Sein Spielglück hatte sich also herumgesprochen, und die Spendierfreudigkeit auch. Fünfzehn Minuten später trafen sie im Saal der Juroren wieder zusammen und nahmen ihre Plätze ein. Der des Holländers van Buyten blieb leer.
»Mijnheer van Buyten lässt uns ausrichten, dass er die Jurorengruppe gewechselt hat«, erklärte Josephine Rider, heute in einem anderen Wollkleid, türkisfarben, aber ähnlich ausgeleiert wie das vom Vortag. »Er meinte, dass er mit der Art, wie wir die Weine bewerten, nicht einverstanden ist. Nun gut, wir bekommen dafür einen Herrn Zander. Er ist CEO der Firma Austrian Fine Wine Consulting mit Sitz in Graz. Ich bin mir sicher, er ist eine Bereicherung für unser Team.«
CEO – ein Chief Executive Officer, ein Verwaltungshengst, der nichts mit der Weinproduktion zu schaffen hatte, und was Consulting für Fine Wine bedeutete, erschloss sich Henry nicht. Sortimentsberatung? Man gewann den Eindruck, dass sich heutzutage wesentlich mehr Berater als Arbeiter im Weinberg tummelten.
Gerade heute hatte er sich bei Anbruch des strahlenden Tages und angesichts eines abgrundtiefen Blaus über Baden-Baden wieder an seine Zeit in Chile erinnert, an den Himmel über den Anden im Osten und den über den Kordilleren im Westen. Er hatte damals auf dem Weingut von Isabellas Onkel gearbeitet. Er hatte den Gabelstapler gefahren, hatte Traubenkisten geschleppt und Schläuche gereinigt, Tanks befüllt und die Abfüllanlage repariert, Etiketten sortiertund die Halle gefegt. Es war großartig gewesen, mal mit den Händen zu arbeiten, in der Hitze zu schuften, denn nach einem Monat hatten die Arbeiter des Gutes sich an seine Sonderrolle gewöhnt und ihn wie ihresgleichen behandelt, wobei ihm seine Sprachkenntnisse sehr zugute gekommen waren.
Herr Zander, der zu ihnen an den Tisch kam und sich setzte, ohne jemandem die Hand zu schütteln, begnügte sich mit einem Kopfnicken und einem halb verschluckten Morgengruß zur Verteilung der Visitenkarten. Sein breites, abschätzendes Lächeln bei einem leicht vorgeschobenen Unterkiefer erinnerte an den Fisch gleichen Namens. Dadurch entstand der Eindruck, als würde er ständig etwas fordern, und dieser erste Eindruck bestätigte sich.
In der Pause nach dem ersten Flight begann er eine Diskussion darüber, ob die in diesem Flight prämierten Weine auch den Chargen entsprachen, die später abgefüllt wurden. Bei den Hamburgern sei er sich da gar nicht so sicher gewesen, er hätte da mal in der Jury gesessen, hier hingegen gäbe es exakte Parameter, wie die relative Dichte des Weins, die mittels der Konterflaschen, die von jeder Probe aufbewahrt wurden, überprüft werden konnten. Das sei im Grunde genommen der Fingerabdruck eines jeden Weins, bis auf vier Stellen nach dem Komma genau.
Josephine Rider sah Frau Stöckli erschrocken an, Monsieur Dillon und Paolo Castellani zuckten kaum merklich mit den Achseln, und Henry überging die Peinlichkeit, indem er aufstand, mit einem Glas Wasser zum Fenster trat und sich per Mobiltelefon mit Frank für die Mittagspause verabredete. Niemand konnte mit Zanders Einwurf etwas anfangen, genauso wenig wie mit der Unterstellung, dass die Hamburger viel zu viele Weine prämierten, es dürfe laut Regel nur ein Drittel aller Weine prämiert werden, und sogar die »lobende Erwähnung« sei nicht rechtens. Als Frau Stöckli zurückkam, wurde die Hotelfachschülerin Nataliegebeten, aus der ersten
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